Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
zeigen wollen, daß sie etwas wert sind. Wenigstens habe ich das irgendwo gelesen. Wahrscheinlich ist das Quatsch wie alles andere.«
Bosch hatte keinen Bedarf an Psychologievorlesungen.
»Ray, mein Prozeß läuft, und ich versuche, den Fall zu lösen. Komm endlich zur Sache. Was ist mit Gallery los?«
»Was ich sagen will, an Gallerys Geschichte ist ungewöhnlich, daß sie vor fast drei Jahren verschwand und nicht wieder aufgetaucht ist. Sie kommen nämlich immer zurück. Selbst wenn sie einem Produzenten den Film total vermasselt haben, so daß er neu gedreht werden mußte. Sie fangen dann wieder unten an – Loops, Steharbeit – und arbeiten sich wieder hoch.«
»Steharbeit?«
»Steharbeit wird hinter der Kamera gemacht. Von Mädchen, die die männlichen Darsteller in Form und auf Touren bringen, während Kamera und Beleuchtung eingestellt werden. Du verstehst, was ich meine.«
»Ja, ich verstehe, was du meinst.«
Nach zehn Minuten Vortrag über die Pornoindustrie war Bosch allmählich deprimiert.
»Was ist mit der Überlebenden? Hast du je mit ihr über den Tip gesprochen?«
»Ich bin nie dazu gekommen. Ich dachte, der Fall wäre abgeschlossen.«
»Ja, das habe ich auch geglaubt.«
Bosch zog ein kleines Notizheft hervor und machte sich ein paar Notizen über das Gespräch.
»Hast du irgendwelche Aufzeichnungen von damals behalten?«
»Nein, ich habe sie nicht mehr. Das Originalblatt über den Hinweis liegt sicher irgendwo bei den Fahndungsakten. Aber es steht nicht mehr drauf, als ich dir erzählt habe.«
Bosch nickte. Mora hatte wahrscheinlich recht.
»Wie sah sie aus, diese Gallery?«
»Blond, toller Busen – eindeutig Beverly-Hills-Chirurgie. Ich glaube, ich habe ein Bild hier.«
Er rollte seinen Stuhl zum Karteischrank, suchte in einer der Schubladen nach und kam mit einem Aktendeckel zurück, dem er ein großformatiges, farbiges Künstlerfoto entnahm. Es zeigte eine blonde Frau, die am Strand des Ozeans posierte. Sie war nackt und hatte ihre Schamhaare rasiert. Bosch gab Mora das Foto zurück. Es war ihm peinlich. Die ganze Sache kam ihm vor, als seien sie Schuljungen, die sich Geheimnisse über eine Mitschülerin verrieten. Er glaubte, ein flüchtiges Lächeln auf Moras Gesicht zu sehen und fragte sich, ob seine Schamhaftigkeit ihn erheiterte oder ob es etwas anderes war.
»Du hast ja einen schönen Job.«
»Nun, jemand muß es ja machen.«
Bosch musterte ihn einen Moment. Er entschied sich, die Frage zu riskieren, warum Mora so an diesem Job hing.
»Aber warum du, Ray. Du hast es schon so lange gemacht.«
»Wahrscheinlich bin ich ein Wachhund, Bosch. Der Höchste Gerichtshof hat entschieden, daß das Zeug bis zu einem gewissen Punkt legal ist, und ich bin der Fleischbeschauer. Es muß beaufsichtigt und sauber gehalten werden – das soll kein Witz sein. Das heißt, die Leute müssen eine Lizenz erhalten, mündig sein, und alles muß auf freiwilliger Basis passieren. Ich verbringe viele Tage damit, durch diesen Dreck zu waten. Ich sehe mir Zeug an, das sogar für den Höchsten Gerichtshof zu starker Tobak wäre. Das Problem ist, alles hängt von dem örtlichen Standard ab. L. A. hat keinen. Hier gab es seit Jahren keinen erfolgreichen Prozeß. Ich habe ein paar Fälle mit Minderjährigen gewonnen. Aber ich warte immer noch auf meinen ersten Sieg in einem Obszönitätsverfahren.«
Er machte eine Pause, bevor er sagte: »Die meisten Cops machen das hier ein Jahr und lassen sich dann versetzen. Länger halten sie es nicht aus. Das ist mein siebtes Jahr, und ich weiß nicht, warum ich bleibe. Vielleicht weil es hier nie an Überraschungen mangelt.«
»Aber Jahr für Jahr diese Scheiße. Wie stehst du das durch?«
Moras Blick wandte sich zur Statue auf dem Schreibtisch.
»Ich komme schon zurecht. Mach dir keine Sorgen wegen mir.« Er schwieg einen Moment und sagte dann: »Ich habe keine Familie. Keine Frau mehr. Wen kratzt’s, was ich tue?«
Bosch wußte von ihrer gemeinsamen Zeit bei der Fahndungsgruppe, daß sich Mora freiwillig für den B-Trupp, für die Spätschicht, gemeldet hatte, weil seine Frau ihn gerade verlassen hatte. Er hatte Bosch gesagt, daß die Nächte für ihn am schwersten seien. Bosch fragte sich, ob Moras Ex-Frau blond war und, falls ja, was das bedeuten würde.
»Hör zu, Ray, ich hatte die gleichen Ideen, was diesen Nachahmungstäter anbelangt. Und sie ist der richtige Typ, Gallery. Die drei Opfer und die, die überlebt hat, waren alle Blondinen. Church war
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