Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton
nicht wählerisch, aber sein Jünger ist es anscheinend.«
»He, du hast recht«, sagte Mora und schaute das Foto von Gallery an. »Daran hatte ich noch nicht gedacht.«
»Dieser vier Jahre alte Hinweis ist wahrscheinlich so gut wie andere Ausgangspunkte. Vielleicht gibt es andere Frauen, andere Opfer. Hast du irgend etwas auf der Pfanne?«
Mora lächelte und sagte: »Harry, das ist doch egal. Verglichen mit diesem Fall ist doch alles Kleinkram. Nächste Woche habe ich Urlaub, aber ich fahre nicht vor Montag. Bis dahin bleibe ich am Ball.«
»Du erwähntest den Erwachsenenverband. Ist das …«
»Erwachsenenfilmverband, ja. Er wird von einer Anwaltskanzlei in Sherman Oaks aus geleitet.«
»Kennst du dort jemanden gut?«
»Ich kenne den leitenden Rechtsanwalt. Er hat ein Interesse daran, daß die Branche sauber bleibt. Also kooperiert er bereitwillig.«
»Kannst du mit ihm sprechen und dich umhören, ob noch jemand wie Gallery verschwunden ist. Blond und gut ausgestattet.«
»Du willst wissen, wie viele Opfer es noch geben könnte?«
»Genau.«
»Ich werde mich darum kümmern.«
»Was ist mit den Agenten und der Gewerkschaft.«
Bosch deutete mit dem Kinn auf den Kalender mit Delta Bush.
»Ich werde sie auch befragen. Zwei der Agenten sind zu neunzig Prozent für die Besetzungen in der Industrie verantwortlich. Am besten fange ich bei ihnen an.«
»Was ist mit dem Callgirl-Geschäft. Machen das alle Frauen?«
»Nicht die Stars. Aber die, die eine Stufe darunter sind, machen das so ziemlich alle. Das Geschäft läuft so: Die Stars verbringen zehn Prozent ihrer Zeit mit Dreharbeiten und in der übrigen Zeit gehen sie als Stripperinnen auf Tournee. Sie gehen von Club zu Club und sahnen ab. Die meisten glauben, daß das große Geld mit den dreckigen Sachen auf den Videos zu verdienen ist. Aber das ist falsch. Strippen bringt’s. Unter dieser Oberschicht findest du Darstellerinnen, die nach oben wollen oder von oben kommen. Die machen neben den Filmen und Strippen auch Prostitution. Da gibt’s auch ’ne Menge zu verdienen. Diese Bräute verdienen einen Riesen pro Nacht als Callgirls.«
»Haben sie Zuhälter?«
»Ja, manche lassen sich managen, aber es ist nicht nötig. Es ist nicht wie auf der Straße, wo sie Schutz brauchen vor miesen Kunden und den anderen Huren. Alles, was sie brauchen, ist ein Telefondienst. Sie geben ihre Anzeige mit Foto bei den Sexblättern ab, und schon klingelt das Telefon. Die meisten haben Regeln. Sie gehen nicht zu Privatwohnungen, nur Hotels. Sie regulieren die Qualität ihrer Kunden über die Qualität der Hotels. Auf die Weise halten sie sich den Pöbel vom Leib.«
Bosch dachte an Rebecca Kaminski, die zum Hyatt am Sunset Boulevard gegangen war. Gute Adresse, aber der Pöbel hatte sich nicht abschrecken lassen.
Anscheinend hatte Mora den gleichen Gedanken: »Leider funktioniert es nicht immer.«
»Offensichtlich.«
»Also, ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Okay? Aber ich glaube nicht, daß es viele sind. Wenn viele die gleiche Nummer wie Gallery abgezogen hätten und verschwunden wären, hätte ich davon gehört.«
»Du hast die Nummer von meinem Piepser?«
Mora schrieb sie sich auf, und Bosch begab sich auf den Weg nach draußen.
Bosch ging durch die Eingangshalle am Schalter vorbei, als sich der Piepser an seinem Gürtel meldete.
Die angezeigte Telefonnummer begann mit »485«. Er nahm an, daß Mora irgend etwas vergessen hatte und lief wieder die Treppe hinauf in den ersten Stock zum Sittendezernat.
Mora saß da, im Anblick von Gallerys Foto versunken, das er vor sich hatte. Er blickte auf und sah Bosch.
»Hast du mich gerade angepiept?«
»Ich? Nein.«
»Ach, ich dachte, du wolltest mich noch erwischen, bevor ich das Gebäude verlasse. Ich benutz’ dann eins von den Telefonen.«
»Sei so frei, Harry.«
Bosch ging zu einem leeren Schreibtisch und wählte die Nummer auf dem Piepser. Er sah, wie Mora das Foto wieder in die Akte legte und dann alles in seiner Tasche auf dem Boden verstaute.
Eine männliche Stimme meldete sich nach dem zweiten Klingeln.
»Büro von Chief Irvin Irving. Lieutenant Felder am Apparat. Was wünschen Sie bitte?«
19
Wie die zwei anderen Assistant Chiefs der Polizei hatte Irving einen privaten Konferenzraum im Parker Center. Darin befanden sich ein großer, runder Tisch mit Resopalplatte, sechs Stühle, eine Topfpflanze und eine Arbeitsfläche an der Rückwand. Fenster gab es keine. Der Raum war durch eine Tür
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