Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
bleiben. Macht zehn Dollar.«
Ich machte keine Anstalten, das Geld herauszurücken. Ich lehnte mich an den Tresen und sagte leise: »Wo ist Linus?«
»Heute Abend ist er nicht hier.«
»Wo ist er dann? Ich muss ihn sprechen.«
»Wahrscheinlich ist er im Chet's. Dort hat er sein Büro. Normalerweise kreuzt er in den Clubs erst nach Mitternacht auf. Zahlen Sie jetzt die zehn Dollar oder nicht?«
»Ich glaube nicht. Ich gehe wieder.«
Sie runzelte die Stirn.
»Sie sind ein Cop, stimmt's?«
Ich lächelte stolz.
»Seit achtundzwanzig Jahren.«
Dass ich inzwischen den Dienst quittiert hatte, verschwieg ich. Ich nahm an, sie würde sich gleich ans Telefon hängen und melden, dass ein Cop anrückte. Das war vielleicht nicht schlecht für mich. Ich griff in die Tasche und zog einen Zehner heraus. Ich warf ihn auf den Tresen.
»Das ist nicht der Eintritt. Das ist für Sie. Lassen Sie sich mal die Haare schneiden.«
Sie setzte ein übertriebenes Lächeln auf, eines, das zeigte, dass sie zwei nette Grübchen hatte. Sie schnappte sich den Zehner.
»Danke, Dad.«
Ich lächelte, als ich hinausging.
Ich brauchte fünfzehn Minuten, um zum Chet's zu kommen, das im Santa Monica Boulevard auf Höhe der La Brea lag. Die Adresse hatte ich aus dem Los Angeles Magazine, das in einem Kästchen auf der letzten Seite des Artikels praktischerweise alle Lokale der Four Kings aufgeführt hatte.
Auch hier gab es keine Schlange vor dem Eingang und wenig Gäste. Ich gelangte zu der Einsicht, dass man vermutlich einpacken konnte, sobald man in Fremdenführern und Touristenmagazinen für cool erklärt wurde. Das Chet's war eine fast identische Kopie des Nat's, einschließlich der drögen Barfrau mit den nicht gerade subtilen Brustwarzen und Tattoos. Das Einzige, was mir an dem Laden gefiel, war die Musik. Als ich ihn betrat, lief gerade Chet Bakers ›Cool Burnin'‹, und ich dachte, dass die Kings vielleicht doch ein bisschen Geschmack hatten.
Die Barfrau war ein perfektes Déjà-vu – groß, dünn und ganz in Schwarz, außer dass sie Marilyn Monroes Gesicht aus der ›Happy Birthday, Mr President‹-Phase auf ihren Bizeps tätowiert hatte.
»Sind Sie der Cop?«, fragte sie, bevor ich ein Wort gesagt hatte.
»Dann haben Sie wohl schon mit Ihrer Schwester gesprochen. Ich nehme mal an, Sie hat Ihnen auch erzählt, dass ich keinen Eintritt zahle.«
»Etwas in der Richtung hat sie gesagt.«
»Wo ist Linus?«
»In seinem Büro. Ich habe ihm gesagt, dass Sie kommen.«
»Das ist aber nett.«
Ich trat von der Bar zurück, zeigte aber auf ihr Tattoo.
»Ihre Mutter?«
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen was.«
Ich beugte mich über den Tresen. Sie beugte den Ellbogen und spannte mehrere Male die Muskeln. Marilyns Backen bliesen sich auf und sanken ein, wenn sich der Bizeps darunter weitete und zusammenzog.
»Sieht ein bisschen aus, als würde sie jemandem einen blasen, nicht?«, sagte die Barfrau.
»Echt stark«, sagte ich. »Das führen Sie sicher allen Jungs vor.«
»Ist Ihnen das einen Zehner wert?«
Fast hätte ich ihr gesagt, dass ich Kneipen kannte, wo ich für einen Zehner richtig einen geblasen bekäme, ließ es aber bleiben. Ich ging einfach und fand allein in einen Flur hinter der Bar. Dort gab es Türen für die Toiletten und eine mit der Aufschrift NUR FÜR PERSONAL. Ich klopfte nicht. Ich ging einfach durch die Tür, die in eine Fortsetzung des Flurs und zu weiteren Türen führte. Auf der dritten Tür stand Linus. Auch sie öffnete ich, ohne zu klopfen.
Linus Simonson saß hinter einem mit Papieren übersäten Schreibtisch. Ich erkannte ihn von dem Foto in der Zeitschrift. Er hatte eine Flasche Scotch und ein Whiskeyglas auf dem Schreibtisch stehen. In dem Büro war eine schwarze Ledercouch, und darauf saß ein Mann, in dem ich, ebenfalls aus dem Magazin, einen der Partner erkannte. Er hieß James Oliphant. Er hatte die Füße auf dem Couchtisch und sah aus, als ließe ihn der Besuch eines Mannes, von dem man ihm erzählt hatte, dass er Polizist war, vollkommen kalt.
»Hey, Mann, Sie sind sicher der Cop«, sagte Simonson und winkte mich nach drinnen. »Machen Sie die Tür zu.«
Ich betrat das Büro und stellte mich vor. Ich sagte nicht, dass ich Polizist war.
»Also, ich bin Linus, und das hier ist Jim. Was gibt's? Was können wir für Sie tun?«
Ich breitete die Hände aus, als hätte ich nichts zu verbergen.
»Ich bin nicht sicher, was Sie für mich tun können. Ich wollte nur mal vorbeischauen und mich
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