Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
er mir Glück brächte, über meine Schulter auf den Rücksitz.
Die Uhr am Armaturenbrett zeigte fast sieben an. Ich wusste, in den Clubs von Hollywood ging es erst ab zehn allmählich los. Aber ich war gerade so schön in Fahrt, und um nicht aus dem Tritt zu kommen, wollte nicht nach Hause fahren und untätig herumsitzen. Ich hatte die Hand oben auf das Lenkrad gelegt und tippte mit den Fingerspitzen gegen das Armaturenbrett, während ich nachdachte. Bald übten sie einen Fingersatz, den Quentin McKinzie mir beigebracht hatte, und als ich das merkte, wurde mir auch klar, wie ich die nächsten paar Stunden hinter mich bringen könnte. Ich machte das Handy wieder an.
37
Sugar Ray McK wartete in seinem Sessel in seinem Zimmer im Splendid Age auf mich.
Das einzige Anzeichen dafür, dass er wusste, dass er ausgehen würde, war der Porkpie Hat, den er trug. Er hatte mir mal erzählt, er trage ihn nur, wenn er ausging, um Musik zu hören, und das hieß, er trug ihn nur noch selten. Seine Augen unter der Krempe waren wacher und schärfer, als ich sie seit langem gesehen hatte.
»Das geht bestimmt total ab, Dog«, sagte er, und ich fragte mich schon, ob er zu viel MTV sah.
»Hoffentlich haben sie für den ersten Set eine gescheite Gruppe. Ich habe nicht mal nachgesehen.«
»Keine Sorge. Es wird bestimmt super.«
Er zog das letzte Wort in die Länge.
»Könnte ich, bevor wir fahren, kurz das Vergrößerungsglas haben, mit dem du immer die Fernsehzeitung liest?«
»Klar. Wofür brauchst du es?«
Während er die Lupe aus einer Tasche an der Armlehne seines Sessels zog, nahm ich die letzte Seite der Geldscheinliste aus meiner Hemdtasche und faltete sie auseinander. Sugar Ray gab mir das Vergrößerungsglas, und ich ging zum Nachttisch und machte die Lampe an. Ich hielt das Blatt Papier über den Schirm und studierte dann mit dem Vergrößerungsglas Jocelyn Jones' Unterschrift. Ich bekam etwas bestätigt, was mir schon in ihrem Büro aufgefallen war.
»Was ist, Harry?«, fragte Sugar Ray.
Ich gab ihm das Vergrößerungsglas zurück und begann, den Zettel wieder zusammenzufalten.
»Nur eine Sache, an der ich gerade arbeite. Etwas, was sich Fälscherzittern nennt.«
»Aaah, Mann, ich habe überall das große Zittern.«
Ich lächelte ihn an.
»Das haben wir alle, auf die eine oder andere Art. Aber jetzt lass uns mal fahren. Ein bisschen Musik hören.«
»Ich komme ja schon. Und mach die Lampe aus. Das kostet nur Geld.«
Wir verließen das Zimmer. Als wir den Flur hinuntergingen, musste ich an Melissa Royal denken, und ich fragte mich, ob sie vielleicht ihre Mutter besuchte. Ich bezweifelte es. Es versetzte mir einen unangenehmen Stich, weil ich wusste, der Tag würde kommen, an dem ich mich mit Melissa zusammensetzen und ihr sagen müsste, dass ich nicht der Richtige für sie war.
Der Pförtner des Heims half mir, Sugar Ray ins Auto zu hieven. Der Mercedes war ein Geländewagen und für ihn wahrscheinlich zu hoch zum Einsteigen. Mir wurde klar, dass ich das berücksichtigen müsste, wenn ich weitere Ausflüge mit Sugar Ray plante.
Wir fuhren zum Baked Potato und aßen zu Abend und hörten uns den ersten Set der ersten Gruppe an, ein Quartett von Gesellen, die sich Four Squared nannten. Sie waren nicht schlecht, aber vielleicht ein bisschen lasch. Sie hatten ein Faible für Billy Strayhorn, und da ich es teilte, machte es nichts.
Sugar Ray machte es auch nichts. Seine Miene erhellte sich, und er hielt beim Zuhören in den Schultern den Takt. Er sprach kein Wort, solange sie spielten, und nach jeder Nummer klatschte er mit Begeisterung. Es war Ehrfurcht, was ich in seinen Augen sah. Ehrfurcht vor dem Klang und der Form.
Die Musiker erkannten ihn nicht. Seit er nur noch Haut und Knochen war, taten das die wenigsten Leute. Aber Sugar Ray störte das nicht. Es verdarb uns den Abend nicht um einen Ton.
Nach dem ersten Set merkte ich, dass er abzubauen begann. Es war schon nach neun und Zeit für ihn, zu schlafen und zu träumen. Er hatte mir erzählt, dass er in seinen Träumen noch spielen konnte. Und für mich wurde es Zeit, in das Gesicht des Mannes zu blicken, den ich seit vier Jahren in meinen Träumen gesucht hatte. Ich hatte keine Dienstmarke, keinen offiziellen Status. Ich wusste, am nächsten Morgen würde ich aussteigen aus diesem Zug. Oder wahrscheinlich rausgeworfen werden. Aber das hieß nicht, dass ich Linus Simonson nicht gegenübertreten, mir einen Eindruck von ihm verschaffen, ihm unter Umständen
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