Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
du sauer auf mich sein solltest, weil ich den Dienst quittiert habe, ist das noch lange kein Grund …«
»Das zu tun, was ich tun soll? Mich nicht an meine Anweisungen zu halten? Harry, du hast keine Dienstmarke mehr. In dieser Sache ermitteln Leute mit einer Dienstmarke. Und zwar aktiv. Hast du verstanden? Und belass es bitte dabei.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, feuerte sie den nächsten Schuss auf mich ab.
»Und mach dir meinetwegen keine Gedanken, ja? Ich bin nicht mehr sauer auf dich, Harry. Du hast mich damals ziemlich hängen lassen, aber das ist lange her. Ja, ich war sauer auf dich, aber das liegt lange zurück. Ich wollte übrigens nicht diejenige sein, die heute hierher kommt, aber er wollte ausdrücklich, dass ich fahre. Er dachte, ich könnte dich überzeugen.«
Mit er war der Chief gemeint, nahm ich an. Eine Weile saß ich schweigend da und wartete, ob noch mehr käme. Aber das war alles, was sie zu sagen hatte. Schließlich begann ich leise zu sprechen, fast so, als legte ich einem Priester durch das Gitter die Beichte ab.
»Und was ist, wenn ich die Finger nicht davon lassen kann? Was ist, wenn ich der Sache aus Gründen, die nichts mit diesem Fall zu tun haben, nachgehen muss? Aus Gründen, die nur mich betreffen? Was passiert dann?«
Sie schüttelte verärgert den Kopf.
»Dann wirst du dir die Finger verbrennen. Diese Leute, die fackeln nicht lange. Such dir einen anderen Fall oder eine andere Möglichkeit, um deine Dämonen loszuwerden.«
»Was für Leute?«
Rider stand auf.
»Kiz, was für Leute?«
»Ich habe genug gesagt, Harry. Botschaft übermittelt. Alles Gute.«
Sie ging in Richtung Flur und Eingangstür. Ich stand auf und folgte ihr, während ich in Gedanken durchging, was ich wusste.
»Wer bearbeitet den Fall?«, fragte ich. »Sag schon.«
Sie sah sich nach mir um, ging aber weiter in Richtung Tür.
»Sag schon, Kiz. Wer?«
Plötzlich blieb sie stehen und drehte sich zu mir um. Ich sah Ärger und Herausforderung in ihren Augen.
»Um der alten Zeiten willen, Harry? Ist es das, was du sagen willst?«
Ich machte einen Schritt zurück. Ihr Ärger war wie ein Kraftfeld um ihren Körper, das mich zurückstieß. Wortlos breitete ich in einer Geste der Kapitulation die Arme aus. Sie wartete kurz und wandte sich dann wieder der Tür zu.
»Wiedersehen, Harry.«
Sie öffnete die Tür und ging nach draußen, dann zog sie sie hinter sich zu.
»Wiedersehen, Kiz.«
Aber sie war schon weg. Ich stand lange da und dachte darüber nach, was sie gesagt hatte und was nicht. Es gab eine Botschaft in der Botschaft, aber ich konnte sie nicht lesen. Das Wasser war zu trüb.
»High Jingo, Baby«, sagte ich zu mir selbst, als ich die Tür abschloss.
6
Die Fahrt nach Woodland Hills hinaus dauerte fast eine Stunde. Früher war es so, dass man einigermaßen vorankam, wenn man wartete, die richtigen Strecken aussuchte und gegen den Verkehrsstrom fuhr. Aber das war einmal. Es kam mir so vor, als seien die Freeways, egal, wann und wo, ein ständiger Albtraum. Es gab kein Nachlassen. Und nachdem ich in den letzten Monaten kaum längere Strecken gefahren war, war es eine ärgerliche und frustrierende Erfahrung, sich wieder damit herumschlagen zu müssen. Schließlich hatte ich die Nase voll. Ich fuhr an der Ausfahrt Topanga Canyon vom 101 und legte den Rest des Wegs auf normalen Straßen zurück, die hauptsächlich durch Wohngebiete führten. Ich versuchte ganz bewusst nicht, die verlorene Zeit durch zu schnelles Fahren wettzumachen. Ich hatte einen Flachmann in der Innentasche meines Jacketts. Wenn ich angehalten wurde, konnte ich deswegen Probleme kriegen.
Fünfzehn Minuten später traf ich vor dem Haus in der Melba Avenue ein. Ich hielt hinter dem Van und stieg aus. Ich ging die hölzerne Rampe hinauf, die an der Seitentür des Van begann und über der Eingangstreppe des Hauses angebracht worden war.
An der Tür wurde ich von Danielle Cross in Empfang genommen. Sie winkte mich wortlos nach drinnen.
»Wie geht's ihm heute, Danny?«
»Wie immer.«
»Mhm.«
Ich wusste nicht, was ich sonst hätte sagen sollen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie ihr Leben sah und wie sich die Hoffnungen und Erwartungen, die sie daran knüpfte, über Nacht in etwas völlig anderes verwandelt hatten. Ich wusste, sie konnte nicht viel älter als ihr Mann sein. Anfang vierzig. Aber es war schwer zu sagen. Sie hatte alte Augen, und ihr Mund schien ständig angespannt und an den Seiten nach unten
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