Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
»Oh, Harry, wie schön du den Tisch immer deckst. Was gibt's zum Mittagessen?«
»Entschuldige. Ich wusste nicht, wer an der Tür war, und deshalb habe ich rasch das Tischtuch über ein paar Sachen geworfen, die ich gerade rausgeholt hatte.«
Sie wandte sich mir zu.
»Was für Sachen, Harry?«
»Nichts Besonderes. Nur ein alter Fall. Aber erzähl doch, wie geht's dir so bei der RHD? Besser als das letzte Mal, als wir uns gesehen haben?«
Sie war ein Jahr, bevor ich meinen Dienst quittiert hatte, nach Downtown befördert worden. Sie hatte Probleme mit ihrem neuen Partner und anderen Kollegen gehabt und mir ihr Leid geklagt. Ich war immer eine Art Mentor für sie gewesen, und das war auch nach ihrer Versetzung zur RHD so geblieben. Aber als ich es dann vorzog, den Dienst zu quittieren, statt mich zur RHD versetzen zu lassen, wo wir wieder Partner geworden wären, war damit Schluss gewesen. Ich wusste, dass sie das verletzt hatte. Dass sie meine Abschiedsfeier organisiert hatte, war eine nette Geste gewesen, aber von ihrer Seite auch das Lebewohl.
»Die RHD? Aus der Sache mit der RHD wurde nichts.«
»Wie bitte? Was soll das heißen?«
Ich war aufrichtig überrascht. Rider war der fähigste und intuitivste Partner gewesen, mit dem ich jemals zusammengearbeitet hatte. Sie war wie geschaffen für die Mission. Die Polizei brauchte mehr Leute wie sie. Ich war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie in der Lage wäre, sich auf das Leben in der anspruchsvollsten Abteilung der Polizei einzustellen und gute Arbeit zu leisten.
»Ich habe mich im Sommer versetzen lassen. Jetzt bin ich im Büro des Chief.«
»Soll das ein Witz sein? O Mann …«
Ich war baff. Offensichtlich hatte sie sich dafür entschieden, Karriere zu machen. Wenn sie als Adjutantin des PolizeiChet's arbeitete, zog man sie für einen Posten im Führungsstab heran. Daran war nichts auszusetzen. Ich wusste, Rider war ehrgeiziger als die meisten anderen Cops. Aber das Morddezernat war eine Berufung, kein Beruf. Ich hatte immer gedacht, sie würde das verstehen und akzeptieren. Sie hatte den Ruf gehört.
»Kiz, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hätte es nur besser gefunden …«
»Was, wenn ich mit dir darüber gesprochen hätte? Du hast die Brocken hingeworfen, Harry, oder hast du das schon wieder vergessen? Was hättest du mir geraten? Mich bei der RHD durchzubeißen, obwohl du selbst den Schwanz eingezogen hast?«
»Für mich war es was anderes, Kiz. Ich hatte zu viel Widerstand aufgebaut. Aufgestaut. Ich schleppte zu viel Ballast mit mir rum. Bei dir war das anders. Du warst der Star, Kiz.«
»Na schön, Sterne erlöschen. Der Dienst im zweiten Stock war mir zu kleinkariert, zu sehr von politischem Kalkül bestimmt. Deshalb habe ich mich anders orientiert. Vor kurzem habe ich das Lieutenantsexamen gemacht. Und der Chief ist in Ordnung. Er will Dinge durchsetzen, hinter denen ich voll und ganz stehe und bei denen ich ihn unterstützen will. Komischerweise spielen im fünften Stock politische Erwägungen eine wesentlich geringere Rolle. Dabei möchte man doch meinen, es wäre genau umgekehrt.«
Es hörte sich an, als versuchte sie mehr sich selbst zu überzeugen als mich. Mich überkam ein Gefühl von Schuld und Versagen, und ich konnte nichts anderes tun, als zu nicken. Wenn ich bei der Polizei geblieben wäre und die Stelle bei der RHD angenommen hätte, wäre auch sie geblieben. Ich ging ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch plumpsen. Sie folgte mir, blieb aber stehen.
Ich streckte die Hand aus, um die Musik leiser zu drehen, aber nur ein bisschen. Ich mochte den Song. Ich schaute durch die Schiebetür über das Sonnendeck auf das Bergpanorama auf der anderen Seite des Valley. Der Smog war nicht stärker als an den meisten Tagen. Aber irgendwie schien der bedeckte Himmel gut zu passen, als Pepper zur Klarinette griff, um Lee Konitz bei ›The Shadow of Your Smile‹ zu begleiten. Der Nummer haftete etwas traurig Wehmütiges an, dem sich, glaube ich, auch Rider nicht entziehen konnte. Sie hörte schweigend zu.
Ich hatte die CDs von einem Bekannten namens Quentin McKinzie bekommen. McKinzie war ein alter Jazzer, der Pepper gekannt und Jahrzehnte früher im Shelly Manne's und im Donte's und einigen der anderen längst eingegangenen Jazz Clubs gespielt hatte, die mit dem Aufkommen des West Coast Sound in Hollywood entstanden waren. McKinzie hatte mir geraten, die CDs anzuhören und zu studieren. Zum Teil handelte es
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