Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
Geldtransporter zu.
»Runter! Alles runter!«
Während sich Mitglieder des Filmteams und Techniker flach auf den Boden warfen, rannte ich weiter. Ich hörte, wie jemand zu kreischen anfing und der Motor des Lieferwagens aufheulte. In meine Nase drang der stechende Geruch von verbrauchtem Schießpulver. Bis ich freies Schussfeld hatte, hatten die Räuber den Lieferwagen erreicht. Einer warf seine Geldsäcke durch die offene Tür, dann drehte er sich um und zog zwei Pistolen aus seinem Gürtel.
Er kam nicht dazu, einen Schuss abzugeben. Ich drückte ab und sah, wie er rückwärts in den Lieferwagen flog. Dann sprangen die anderen hinein, und als der Wagen unter lautem Reifenquietschen losfuhr, ragten die Füße des Verletzten aus der noch offenen Seitentür hervor. Ich beobachtete, wie der Lieferwagen um die Ecke bog und in Richtung Sunset Boulevard und Freeway davonjagte. An Verfolgung war nicht zu denken. Mein Crown Vic war mehr als einen Block weiter geparkt.
Stattdessen machte ich mein Handy an und gab den Überfall durch. Ich sagte ihnen, sie sollten mehrere Krankenwagen und jede Menge Leute schicken. Ich gab die Richtung an, die der Lieferwagen eingeschlagen hatte, und sagte ihnen, dass sie zum Freeway fahren sollten.
Während der ganzen Zeit hatte das Geschrei im Hintergrund nicht aufgehört. Ich machte das Handy wieder aus und ging zu dem schreienden Mann. Es war der jüngere der beiden Männer im Anzug. Er lag auf der Seite und hielt sich mit der Hand die linke Hüfte. Zwischen seinen Fingern sickerte Blut hervor. Sowohl der Tag als auch der Anzug waren ihm gründlich versaut worden, aber ich wusste, er würde es überstehen.
»Ich bin getroffen worden!«, brüllte er, während er sich auf dem Boden wand. »Scheiße, ich bin getroffen worden!«
Als ich aus der Erinnerung an meinen Esszimmertisch zurückkam, begann Art Pepper gerade, mit Jack Sheldon an der Trompete, ›You'd Be So Nice To Come Home To‹ zu spielen. Ich hatte mindestens zwei oder drei Pepper-Versionen des Cole-Porter-Standards auf CD. In jeder davon attackierte er den Song, riss ihm sämtliche Eingeweide heraus. Anders konnte er einfach nicht spielen, und es war diese Unerbittlichkeit, was ich am meisten an ihm mochte. Sie war das, was ich mit ihm gemeinsam zu haben hoffte.
Ich schlug meinen Notizblock auf einer frischen Seite auf und wollte mir gerade eine Notiz zu etwas machen, was ich in meiner Erinnerung an die Schießerei gesehen hatte, als es klopfte.
5
Ich stand auf und ging den Flur hinunter und spähte durch den Spion. Dann ging ich rasch ins Esszimmer zurück und nahm ein Tischtuch aus dem Geschirrschrank. Das Tischtuch war nie benutzt worden. Es war von meiner Frau gekauft und für den Fall, dass wir mal jemanden einladen würden, in den Geschirrschrank gelegt worden. Aber wir luden nie jemanden ein. Ich hatte die Frau nicht mehr, aber das Tischtuch konnte ich jetzt gut gebrauchen. Es klopfte noch einmal. Lauter diesmal. Ich deckte rasch die Fotos und Dokumente zu und kehrte an die Tür zurück.
Kiz Rider kehrte mir den Rücken zu und schaute auf die Straße, als ich die Tür öffnete.
»Tut mir Leid, Kiz. Ich war hinten auf der Terrasse und habe das erste Klopfen nicht gehört. Komm rein.«
Sie ging an mir vorbei und den kurzen Flur hinunter zum Wohn- und Essbereich.
»Woher weißt du dann, dass ich zweimal geklopft habe?«, fragte sie, als sie an mir vorbeiging.
»Ich, äh, dachte einfach, das Klopfen, das ich gehört habe, war so laut, dass es nur bedeuten konnte, wer an der Tür ist, muss …«
»Schon gut, schon gut, Harry, ich habe verstanden.«
Ich hatte sie fast acht Monate nicht mehr gesehen. Seit meiner Abschiedsfeier, die sie organisiert hatte. Sie hatte dafür die Bar des Musso's gemietet und die ganze Hollywood Division eingeladen.
Sie betrat das Esszimmer, und ich sah ihren Blick über das zerknitterte Tischtuch wandern. Es war klar, dass ich etwas verbarg, und ich bereute sofort, es getan zu haben.
Sie trug ein anthrazitgraues Kostüm, dessen Rock bis unters Knie reichte. Das Outfit überraschte mich. In neunzig Prozent der Fälle, die wir als Partner zusammengearbeitet hatten, hatte sie schwarze Jeans, einen Blazer und eine weiße Bluse getragen. Das gestattete ihr Bewegungsfreiheit und notfalls konnte sie damit sogar laufen. Im Kostüm sah sie eher wie die Zweigstellenleiterin einer Bank aus und nicht wie ein Detective des Morddezernats.
Den Blick immer noch auf den Tisch gerichtet, sagte sie:
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