Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
die den Song ursprünglich gesungen hatte, die Rauheit allen Leids der Welt in sich vereinte. Ich hätte nie gedacht, dass jemand an Louis Armstrong herankäme, aber Danny Cross schaffte es eindeutig.
I see skies of blue
And clouds of white
The bright blessed day
The dark sacred night
And I think to myself
What a wonderful world
Und das war der Teil der Aufzeichnung, der am schwersten anzusehen war. Das war der Teil, bei dem ich mir am meisten wie ein Eindringling vorkam, so, als hätte ich eine Grenze des Anstands in mir überschritten.
»Stellen Sie das jetzt ab«, sagte ich schließlich.
24
Der entscheidende Moment meiner Laufbahn als Polizist ereignete sich nicht im Einsatz oder bei der Arbeit an einem Fall. Er ereignete sich am 5. März 1991. Es war Nachmittag, und ich war im Bereitschaftsraum der Hollywood Division, wo ich scheinbar Schreibkram erledigte. Aber wie alle anderen Kollegen wartete ich. Als alle ihre Schreibtische zu verlassen begannen, um sich vor den Fernsehern zu versammeln, stand auch ich auf. Einer war im Büro des Lieutenant, und einer war in der Einbruch-Ecke an der Wand montiert. Weil ich damals mit dem Lieutenant nicht gut auskam, ging ich zu den Jungs vom Einbruch. Wir hatten zwar schon davon gehört, aber nur wenige von uns hatten das Video tatsächlich gesehen. Und jetzt kam es. In körnigem Schwarzweiß, aber noch scharf genug, um zu sehen und zu wissen, dass sich einiges ändern würde. Vier Polizisten in Uniform um einen Mann geschart, der auf dem Boden um sich schlug. Rodney King, ein ehemaliger Häftling, jetzt Verkehrssünder. Zwei der Polizisten droschen mit Schlagstöcken auf ihn ein. Ein dritter trat ihn, während der vierte die Batterieladung der Betäubungspistole prüfte. Ein zweiter, größerer Ring aus Uniformierten stand um sie herum und sah zu. Im Bereitschaftsraum standen einige Münder offen, als wir zum Bildschirm hochschauten. Einigen von uns sank der Mut. In gewisser Weise fühlten wir uns betrogen. Uns war allen ohne Ausnahme klar, dass dieses Video nicht ohne Wirkung auf die Polizei bleiben würde. Sie würde sich ändern. Die Polizeiarbeit in Los Angeles würde sich ändern.
Natürlich wussten wir nicht, ob es eine Veränderung zum Besseren oder Schlechteren sein würde. Wir wussten damals nicht, dass politische Motive und rassische Emotionen wie eine Flutwelle über die Polizei hinwegbranden würden und dass es später zu tödlichen Unruhen und zu einem tiefen Riss im sozialen Gefüge der Stadt kommen würde. Aber dass etwas passieren würde, war uns allen klar, als wir das körnige Video sahen. Alles wegen dieses einen Moments der Wut und Frustration, abreagiert unter einer Straßenlaterne im San Fernando Valley.
An diesen Moment dachte ich, als ich im Wartezimmer einer Anwaltskanzlei in Downtown Los Angeles saß. Ich erinnerte mich an die Wut, die ich empfunden hatte, und ich merkte, sie war über die Zeit hinweg erneut über mich gekommen. Die Aufnahmen, die ich von Lawton Cross' Misshandlung hatte, waren kein Rodney-King-Video. Sie würden die Arbeit der Polizei und den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht um Jahrzehnte zurückwerfen. Sie würden weder an dem Bild etwas ändern, das die Menschen von der Polizei hatten, noch daran, ob sie hinter ihr standen und mit ihr kooperierten oder nicht. Aber in ihrer erschreckend deutlichen Dokumentierung von Machtmissbrauch besaßen sie eine unübersehbare Ähnlichkeit. Diese Aufnahmen hatten nicht die Macht, eine ganze Stadt zu verändern, aber sie hatten das Potenzial, eine Behörde wie das Federal Bureau of Investigation zu ändern. Wenn ich es wollte.
Aber das wollte ich nicht. Was ich wollte, war etwas anderes, und ich wollte diese Aufnahmen dazu benutzen, es mir zu verschaffen. Zumindest kurzfristig. Ich machte mir noch keine Gedanken darüber, was mit den Aufnahmen oder mit mir auf lange Sicht geschehen könnte.
Die Bibliothek der Anwaltskanzlei, in der ich eine Stunde nach meinem Besuch bei Biggar & Biggar saß, war mit Kirschholz getäfelt und voller Regale mit ledergebundenen Gesetzbüchern. An den wenigen freien Stellen der Wände hingen beleuchtete Ölgemälde der Inhaber der Kanzlei. Ich stand vor einem der Bilder und betrachtete die gekonnte Pinselführung. Der gut aussehende, hoch gewachsene Mann, der darauf porträtiert war, hatte braunes Haar und grüne Augen, die durch seine intensive Bräune noch stärker zur Geltung kamen. Laut der goldenen Plakette oben am Mahagonirahmen war sein Name
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