Harry Bosch 09 - Letzte Warnung
Luft zu schnappen. Er bekam keine.
»So ein Motherfucker«, sagte Burnett Biggar. »Wer ist der Kerl?«
Ich sagte nichts. Ich sah mit wachsender Wut stumm zu. Aber Biggar hatte Recht. Im Wörterbuch für Polizeislang war Motherfucker das ultimative Schimpfwort, der Ausdruck, der den übelsten Verbrechern, den schlimmsten Feinden vorbehalten war. Auch mir war danach, es zu sagen, aber meine Stimme wollte nicht kommen. Mich nahm das, was ich auf dem Bildschirm sah, zu sehr gefangen. Was sie mit mir gemacht hatten, war nichts im Vergleich mit der Erniedrigung und der nachhaltigen Demütigung, die sie Lawton Cross zufügten.
Cross auf dem Bildschirm versuchte zu sprechen, bekam aber ohne Luft in der Lunge kein Wort heraus. Auf dem Gesicht des FBI-Agenten, von dem ich inzwischen wusste, dass er Milton hieß, lag ein hämisches Grinsen.
»Was?«, sagte er. »Was ist? Möchten Sie mir was sagen?«
Wieder versuchte Cross zu sprechen, aber es gelang ihm nicht.
»Nicken Sie, wenn Sie mir was sagen wollen. Ach, stimmt ja, Sie können ja gar nicht mit dem Kopf nicken, oder?« Endlich ließ er die Schläuche los, und Cross begann Luft einzusaugen wie jemand, der aus zwanzig Meter Tiefe an die Wasseroberfläche kam. Seine Brust wogte, und seine Nasenflügel weiteten sich, als er zu Atem zu kommen versuchte.
Milton stellte sich vor den Rollstuhl. Er schaute auf sein Opfer hinab und nickte.
»Sehen Sie? So einfach ist das? Wollen Sie jetzt kooperieren?«
»Was wollen Sie?«
»Was haben Sie Bosch erzählt?«
Cross' Augen zuckten kurz zur Kamera hoch und dann wieder zurück zu Milton. In diesem Moment hatte ich nicht das Gefühl, dass er nach der Uhrzeit sah. Plötzlich hatte ich den Eindruck, dass er von der Kamera wusste. Lawton Cross war ein guter Polizist gewesen. Vielleicht hatte er die ganze Zeit gewusst, was ich machte.
»Ich habe ihm von dem Fall erzählt. Mehr nicht. Er kam her, und ich erzählte ihm, was ich wusste. An alles kann ich mich nicht mehr erinnern. Es hat mich übel erwischt, wissen Sie. Es hat mich übel erwischt, und mein Gedächtnis hat ziemlich gelitten. Manche Dinge kommen mir erst ganz langsam wieder. Ich …«
»Warum kam er heute Abend her?«
»Weil ich vergessen hatte, dass ich noch ein paar Akten hatte. Meine Frau rief ihn für mich an, und ich hinterließ ihm eine Nachricht. Er kam wegen der Akten.«
»Was sonst noch?«
»Sonst war nichts. Was wollen Sie?«
»Was wissen Sie über das Geld, das geraubt wurde?«
»Nichts. So weit sind wir nie gekommen.«
Milton streckte die Hände aus und ergriff wieder die Atemschläuche. Diesmal drückte er sie nicht zu. Die Drohung genügte.
»Ich sage die Wahrheit«, protestierte Cross.
»Das würde ich Ihnen auch raten.«
Der Agent ließ die Schläuche los.
»Ab sofort reden Sie nicht mehr mit Bosch, ist das klar?«
»Ja.«
»Was ja?«
»Ja, ab sofort rede ich nicht mehr mit Bosch.«
»Danke für Ihre Kooperation.«
Als Milton sich vom Rollstuhl entfernte, sah ich, dass Cross die Augen niedergeschlagen hatte. Als die Agenten gingen, drückte einer von ihnen – wahrscheinlich Milton – auf den Lichtschalter, und im Zimmer und auf dem Bildschirm wurde alles schwarz.
Wir standen da und starrten auf den Bildschirm, und in der Minute, bevor die Kamera abschaltete, konnten wir Lawton Cross weinen hören, aber nicht sehen. Es war das heftige Schluchzen eines verwundeten und hilflosen Tieres. Ich sah die zwei Männer neben mir nicht an, und sie sahen mich nicht an. Wir sahen nur auf den dunklen Bildschirm und hörten zu.
Endlich – Gott sei Dank – schaltete sich die Kamera nach einer Minute aus, aber sofort erschien wieder ein Bild auf dem Monitor. Das Licht im Zimmer ging an und Danny kam herein. Ich sah auf die Zeitangabe auf dem Bildschirm und stellte fest, dass nur drei Minuten vergangen waren, seit die Agenten gegangen waren. Das Gesicht ihres Mannes war von Tränen überströmt. Und er konnte nichts tun, um sie zu verbergen.
Sie ging auf ihn zu. Wortlos stieg sie über ihm auf den Rollstuhl, sodass ihre Knie seitlich an seinen dünnen Oberschenkeln zu liegen kamen. Sie senkte ihre Hüften auf seinen Schoß. Sie öffnete ihren Bademantel und zog sein Gesicht an ihre Brüste. So hielt sie ihn, und er weinte wieder. Zunächst wurde kein Wort gesprochen. Sie tröstete ihn still und zärtlich. Und dann begann sie, ihm vorzusingen.
Ich kannte das Lied, und sie sang es gut. Ihre Stimme war sanft wie ein Lufthauch, obwohl die Stimme,
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