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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Deckenlampe wurde schwächer, und bald würde es vollkommen dunkel. Ihn überkamen Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Er hatte seine Tochter enttäuscht, und er hatte sich selbst enttäuscht.

37
    P lötzlich blickte Bosch von den Grübeleien über sein Versagen auf. Er hatte etwas gehört. Über dem Brummen der Motoren hatte er ein schepperndes Klopfen gehört. Es kam nicht von oben. Es kam von unten, aus dem Rumpf.
    Er sprang auf und drehte sich zur Luke. Wieder hörte er ein Klopfen und merkte, dass jemand, wie kurz zuvor er das getan hatte, in alle Abteile schaute.
    Er schlug mit den Griffen beider Pistolen gegen die Tür und überbrüllte das metallische Dröhnen.
    »Sun Yee? Hallo! Hier unten! Hallo! Hier unten!«
    Es kam keine Antwort, aber dann drehte sich der rechte obere Zapfen. Die Luke wurde entriegelt. Bosch machte einen Schritt zurück, wischte mit den Ärmeln über sein Gesicht und wartete. Als Nächstes drehte sich der linke untere Riegel, und dann ging langsam die Luke auf. Bosch war nicht sicher, wie viel Schuss er noch hatte, als er die Pistolen hob.
    Im schwachen Licht des Gangs erschien Suns Gesicht. Bosch machte einen Schritt nach vorn und drückte die Luke ganz auf.
    »Wo waren Sie, verdammte Scheiße?«
    »Ich habe nach einem Boot gesucht und …«
    »Ich habe Sie doch angerufen und Ihnen gesagt, Sie sollen zurückkommen.«
    Sobald er draußen auf dem Gang war, sah Bosch etwa einen Meter neben der Luke den Mann aus dem Mercedes mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen. In der Hoffnung, er möchte noch am Leben sein, bückte Bosch sich rasch zu ihm hinab und wälzte ihn in seinem Blut auf den Rücken.
    Er war tot.
    »Harry, wo ist Madeline?«, fragte Sun.
    »Keine Ahnung. Alle sind tot, und ich weiß es nicht!«
    Außer …
    Eine letzte Idee begann in Boschs Kopf Gestalt anzunehmen. Eine letzte Chance. Der weiße Mercedes. Funkelnagelneu. Der Wagen war sicher mit allen Schikanen ausgestattet, darunter auch einem Navigationssystem, und die erste darin gespeicherte Adresse wäre die seines Besitzers.
    Dorthin würden sie fahren. Sie würden zum Haus des Mercedes-Besitzers fahren, und Bosch würde alles tun, was nötig wäre, um seine Tochter zu finden. Wenn dazu auch gehörte, dem genervten kleinen Jungen, den er im Geo gesehen hatte, eine Pistole an den Kopf zu halten, würde er auch das tun. Und die Frau würde reden. Sie würde ihm seine Tochter zurückgeben.
    Bosch betrachtete den Toten auf dem Boden. Vermutlich hatte er Dennis Ho vor sich, den Mann hinter Northstar. Er klopfte die Taschen des Toten nach den Autoschlüsseln ab, und als er sie nicht fand, löste sich sein Plan genauso schnell wieder in Luft auf, wie er Gestalt angenommen hatte. Wo konnten die Schlüssel sein? Er brauchte dieses dämliche Navi, um herauszufinden, wohin er fahren musste und wie er dorthin käme.
    »Harry, was ist denn?«
    »Seine Schlüssel! Wir brauchen seine Schlüssel, sonst …«
    Er verstummte mitten im Satz. Ihm war eine neue Idee gekommen. Als er ans Ende des Piers gestürmt und hinter dem weißen Mercedes in Deckung gegangen war, hatte er den Dieselmotor des Wagens gehört und gerochen. Das Auto hatte mit laufendem Motor auf dem Anleger gestanden.
    Darüber hatte sich Bosch zu diesem Zeitpunkt keine Gedanken gemacht, weil er fest angenommen hatte, seine Tochter wäre auf dem Boot. Doch jetzt wurde ihm bewusst, dass er sich getäuscht hatte.
    Seine Gedanken waren ihm bereits weit voraus, als er sich aufrichtete und den Gang hinunter zur Leiter rannte. Er hörte, wie Sun ihm folgte.
    Es gab nur einen Grund, warum Dennis Ho sein Auto mit laufendem Motor auf dem Pier hatte stehen lassen. Er hatte vorgehabt, zu ihm zurückzukehren. Aber nicht
mit
dem Mädchen, denn sie war gar nicht auf dem Boot. Sondern um das Mädchen zu
holen,
sobald das Abteil im Rumpf des Boots fertig war und er sie dort unterbringen konnte.
    Bosch stürmte aus dem Ruderhaus und rannte die Gangway hinunter auf den Anleger, wo der Mercedes stand. Er riss die Fahrertür auf und schaute auf den Rücksitz. Er war leer. Dann suchte er am Armaturenbrett nach dem Knopf für die Kofferraumentriegelung.
    Als er ihn nicht fand, machte er den Motor aus und zog den Schlüssel ab. Dann ging er damit zum Heck des Mercedes und drückte am Schlüsselanhänger den Knopf zum Öffnen des Kofferraums.
    Der Deckel schwang automatisch hoch. Bosch beugte sich in den Kofferraum, und da lag sie, auf einer Decke. Geknebelt und mit verbundenen Augen.

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