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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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leerer Kisten Deckung, doch auf den letzten zwanzig Metern zur Gangway des Kranboots war er vollkommen ungeschützt und von allen Seiten zu sehen. Er legte das letzte Stück im Spurt zurück und duckte sich hinter den weißen Mercedes, der mit laufendem Motor an der Gangway stand. Unter der Kühlerhaube drangen das leise Summen und der Geruch eines Dieselmotors hervor. Bosch spähte über die Kante des Kofferraums. An Bord deutete nichts darauf hin, dass jemand sein Erscheinen bemerkt hatte. Er sprang hinter seiner Deckung hervor, huschte lautlos die Gangway hinauf und rannte auf Deck zwischen den zwei Meter breiten Ladeluken hindurch zum Ruderhaus, wo er sich neben der Tür an die Wand drückte.
    Er atmete in tiefen, langen Zügen und lauschte. Außer dem Brummen der Bootsmotoren und dem Wind in den Takelagen der Boote am Pier war nichts zu hören. Er drehte sich zur Seite und spähte durch das kleine quadratische Fenster in der Tür. Im Ruderhaus war niemand zu sehen. Er legte die Hand um den Türgriff, öffnete leise die Tür und schlüpfte nach drinnen.
    Das Ruderhaus war die Kommandobrücke des Boots. Neben dem Steuerruder gab es mehrere Leuchtanzeigen, zwei Radarschirme, zwei Gashebel und einen großen kardanisch aufgehängten Kompass. An der Rückwand, neben einer Reihe mit Vorhängen versehener Einbaukojen, stand ein Kartentisch.
    Links vorne war eine offene Luke im Boden, von der eine Leiter in den Rumpf des Boots hinabführte. Bosch kauerte neben der Öffnung nieder. Unter Deck waren die Stimmen mehrerer Männer zu hören, aber sie sprachen chinesisch. Er versuchte, sie voneinander zu unterscheiden und festzustellen, wie viele Personen dort unten waren, aber das war wegen des starken Halls nicht möglich. Fest stand nur, dass es mindestens drei Männer waren. Die Stimme seiner Tochter konnte er zwar nicht hören, aber er wusste, dass auch sie dort unten war.
    Bosch ging zum Steuerstand des Boots. Es gab zahlreiche Anzeigen und Schalter, aber alle waren chinesisch beschriftet. Schließlich entschied sich Bosch für zwei nebeneinander liegende Schalter mit roten Lämpchen. Als er einen von ihnen umlegte, nahm das Brummen der Maschinen sofort deutlich ab. Er hatte einen der Bootsmotoren ausgeschaltet.
    Er wartete fünf Sekunden, dann legte er den anderen Schalter um. Auch der zweite Motor ging aus. Darauf zog sich Bosch in die hintere Ecke des Ruderhauses zurück und kletterte in die untere der beiden Kojen. Er zog den Vorhang zur Hälfte zu, ging in die Hocke und wartete. Er wusste, dass er an dieser Stelle für jemanden, der von unten die Leiter heraufkam, nicht zu sehen wäre. Er steckte die Pistole in den Hosenbund, nahm das Messer aus seiner Jackentasche und klappte es leise auf.
    Schon nach kurzem hörte er unter Deck rasche Schritte. Das hieß, dass sich die Männer im vorderen Teil des Rumpfs befanden. Er hörte die Schritte von nur einer Person. Das würde ihm die Sache erleichtern.
    Ein Mann kam durch die Luke nach oben. Er hatte den Kojen den Rücken zugekehrt und den Blick auf den Steuerstand gerichtet. Ohne sich umzublicken, eilte der Mann ans Steuerrad und suchte nach dem Grund, weshalb die Maschinen ausgegangen waren. Als er nichts Ungewöhnliches entdeckte, machte er sich daran, die Motoren wieder zu starten. Lautlos kletterte Bosch aus der Koje und schlich von hinten auf den Mann zu. In dem Moment, in dem der zweite Motor ansprang, drückte er die Messerspitze gegen die Wirbelsäule des Manns.
    Er packte ihn von hinten am Kragen, zog ihn vom Steuerstand fort und flüsterte ihm ins Ohr: »Wo ist das Mädchen?«
    Der Mann sagte etwas auf Chinesisch.
    »Ich will wissen, wo das Mädchen ist.«
    Der Mann schüttelte den Kopf.
    »Wie viel Mann sind unter Deck?«
    Als der Mann nicht antwortete, zerrte ihn Bosch rasch auf Deck hinaus, schob ihn an die Reling und drückte ihn mit dem Oberkörper darüber. Das Wasser war mehr als drei Meter unter ihnen.
    »Kannst du schwimmen, du Arschloch? Wo ist das Mädchen?«
    »Nicht … sprechen«, brachte der Mann hervor. »Nicht sprechen.«
    Den Chinesen weiter über die Reling beugend, blickte sich Bosch nach Sun – seinem Dolmetscher – um, sah ihn aber nirgendwo. Wo steckte er bloß?
    Diese kurze Unaufmerksamkeit nutzte der Mann, um Bosch den Ellbogen mit solcher Wucht in die Rippen zu rammen, dass er gegen die Seitenwand des Ruderhauses flog. Der Chinese wirbelte herum und hob zum Angriff die Hände. Bosch riss zu seiner Deckung die Unterarme hoch, aber

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