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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Ihre Arme waren mit Klebeband an ihren Körper gefesselt. Auch ihre Fußgelenke waren mit Tape umwickelt. Bosch entfuhr ein Schrei, als er sie sah.
    »Maddie!«
    Fast wäre er zu ihr in den Kofferraum gesprungen, als er ihr hastig die Augenbinde abnahm und sich am Knebel zu schaffen machte.
    »Ich bin’s, Schatz! Dad!«
    Sie öffnete die Augen und blinzelte.
    »Du bist in Sicherheit, Maddie. Jetzt kann dir nichts mehr passieren!«
    Als sich der Knebel löste, stieß das Mädchen einen schrillen Schrei aus, der sich durch das Herz ihres Vaters bohrte und immer dort bleiben würde. Er war alles in einem: Ausdruck der Angst, Hilferuf und ein Laut der Erleichterung und sogar Freude.
    »Daddy!«
    Als Bosch seine Tochter aus dem Kofferraum hob, begann sie zu weinen. Inzwischen war auch Sun da und half ihm.
    »Jetzt wird alles gut«, sagte Bosch. »Alles wird gut.«
    Sie stellten das Mädchen auf die Beine, und Bosch machte sich daran, mit den Zähnen eines Schlüssels das Klebeband zu durchtrennen. Madeline trug immer noch ihre Schuluniform. Sobald ihre Arme und Hände frei waren, schlang sie sie Bosch um den Hals und drückte ihn ganz fest an sich.
    »Ich wusste, dass du kommst«, stieß sie schluchzend hervor.
    Bosch war sich nicht sicher, ob er jemals Worte gehört hatte, die ihm mehr bedeuteten. Er hielt seine Tochter ganz fest in den Armen und drehte den Kopf, um ihr ins Ohr zu flüstern.
    »Maddie?«
    »Ja, Dad?«
    »Haben sie dir weh getan, Maddie? Ich meine, körperlich. Wenn sie dir weh getan haben, müssen wir zu einem …«
    »Nein, sie haben mir nicht weh getan.«
    Er löste sich von ihr, legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr in die Augen.
    »Wirklich nicht? Du kannst es mir ruhig sagen.«
    »Klar, Dad. Aber sie haben mir nichts getan.«
    »Gut. Dann müssen wir jetzt los.«
    Er wandte sich Sun zu.
    »Können Sie uns zum Flughafen bringen?«
    »Kein Problem.«
    »Dann lassen Sie uns fahren.«
    Bosch legte den Arm um seine Tochter, und sie folgten Sun den Anleger hinunter. Sie klammerte sich beim Gehen die ganze Zeit an Bosch, und erst als sie das Auto erreichten, schien ihr aufzugehen, was es bedeutete, dass Sun bei ihnen war. Sie stellte die Frage, vor der Bosch sich schon die ganze Zeit gefürchtet hatte.
    »Dad?«
    »Ja, Maddie?«
    »Wo ist Mom?«

38
    B osch beantwortete die Frage nicht direkt. Er sagte seiner Tochter nur, ihre Mutter könne im Augenblick nicht bei ihnen sein, habe aber eine Tasche für sie gepackt, weil sie zum Flughafen fahren und Hongkong verlassen müssten. Sun sagte nichts und begann, schneller zu gehen, um etwas Abstand zwischen sich und sie zu bringen und sich aus dem Gespräch auszuklinken.
    Bosch hoffte, dass diese Erklärung ihm Zeit verschaffte, um sich zu überlegen, wie und wann er seiner Tochter die Antwort geben sollte, die ihr ganzes weiteres Leben verändern würde. Als sie den schwarzen Mercedes erreichten, setzte er zuerst Madeline auf den Rücksitz, bevor er zum Kofferraum ging, um ihren Rucksack zu holen. Er wollte nicht, dass sie die Tasche sähe, die Eleanor für sich selbst gepackt hatte. Er durchsuchte die Fächer von Eleanors Tasche nach dem Pass seiner Tochter und steckte ihn ein.
    Er setzte sich auf den Vordersitz, gab Madeline den Rucksack und forderte sie auf, ihre Schuluniform auszuziehen. Dann sah er auf die Uhr und nickte Sun zu.
    »Wir sind so weit.«
    Sun fuhr los und verließ das Hafengelände in zügigem Tempo, aber nicht so schnell, dass er Verdacht erregt hätte.
    »Können Sie uns an einer Fähre oder U-Bahn absetzen, mit der wir direkt zum Flughafen kommen?«, fragte Bosch.
    »Nein, die Fährenlinie wurde eingestellt, und Sie müssten umsteigen. Es ist besser, ich fahre Sie hin. Außerdem möchte ich das.«
    »Gut, Sun Yee.«
    Ein paar Minuten fuhren sie schweigend dahin. Bosch hatte das Bedürfnis, sich umzudrehen und mit seiner Tochter zu sprechen, sie anzusehen, um sich zu vergewissern, dass ihr nichts fehlte.
    »Maddie, bist du fertig mit Umziehen?«
    Sie antwortete nicht.
    »Maddie?«
    Bosch drehte sich zu ihr um. Sie hatte sich umgezogen. Sie lehnte hinter Sun an der Tür und starrte, das Kissen an ihre Brust gedrückt, aus dem Seitenfenster. Auf ihren Wangen waren Tränen. Sie schien das Durchschussloch im Kissen noch nicht bemerkt zu haben.
    »Maddie, alles okay?«
    Ohne zu antworten oder den Blick vom Fenster abzuwenden, sagte sie: »Sie ist tot, oder?«
    »Was?«
    Bosch wusste genau, was sie meinte, aber er versuchte, Zeit zu

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