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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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schinden und das Unvermeidliche so lange wie möglich hinauszuzögern.
    »Ich bin doch nicht blöd. Du bist hier. Sun Yee ist hier. Sie sollte auch hier sein. Das wäre sie auch, aber ihr ist was passiert.«
    Bosch spürte, wie eine unsichtbare Faust seine Brust traf. Madeline drückte weiter ihr Kissen an sich und sah mit Tränen in den Augen aus dem Fenster.
    »Maddie, es tut mir leid. Ich wollte es dir sagen, aber irgendwie war der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen.«
    »Und wann wäre der richtige Zeitpunkt gewesen?«
    Bosch nickte.
    »Du hast vollkommen recht. Nie.«
    Er fasste nach hinten und legte die Hand auf ihr Knie, aber sie stieß sie sofort weg. Es war das erste Anzeichen der Schuld, die er jetzt immer zu tragen hätte.
    »Es tut mir leid. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Als ich heute Morgen hier gelandet bin, hat mich deine Mutter am Flughafen abgeholt. Mit Sun Yee. Sie hatte nur ein Ziel, Maddie. Dich gesund und wohlbehalten nach Hause zu holen. Alles andere hat sie nicht interessiert. Auch ihr eigenes Leben nicht.«
    »Was ist passiert?«
    Bosch zögerte, aber die einzige Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, war, die Wahrheit zu sagen.
    »Sie wurde erschossen, Schatz. Jemand hat auf mich geschossen und sie getroffen. Ich glaube, sie hat nichts mehr gespürt.«
    Madeline schlug die Hände vor die Augen. »Es ist alles meine Schuld.«
    Obwohl sie ihn nicht ansah, schüttelte Bosch den Kopf.
    »Nein, Maddie. Jetzt hör mal gut zu. So etwas darfst du auf keinen Fall sagen. So etwas darfst du nicht einmal denken. Es ist nicht deine Schuld. Es ist meine Schuld. Es ist alles allein meine Schuld.«
    Sie antwortete nicht, sondern drückte das Kissen nur fester an ihre Brust und hielt den Blick auf die am Fenster vorbeiwischende Stadtlandschaft gerichtet.
     
    Eine Stunde später setzte sie Sun Yee vor der Abflughalle ab. Bosch half seiner Tochter aus dem Mercedes, dann wandte er sich Sun zu. Im Auto hatten sie wenig gesprochen. Doch jetzt war es Zeit, sich zu verabschieden, und Bosch wusste, dass ohne Suns Hilfe seine Tochter jetzt nicht bei ihm wäre.
    »Sun Yee, danke, dass Sie meine Tochter gerettet haben.«
    »Gerettet haben Sie sie. Nichts konnte Sie aufhalten, Harry Bosch.«
    »Was werden Sie jetzt tun? Wegen Eleanor wird die Polizei sicher zu Ihnen kommen, möglicherweise auch wegen allem anderen.«
    »Ich regle das. Ihr Name wird nicht fallen. Das ist mein Versprechen. Egal, was passiert, ich werde Sie und Ihre Tochter aus allem heraushalten.«
    Bosch nickte.
    »Alles Gute.«
    »Auch Ihnen alles Gute.«
    Bosch schüttelte ihm die Hand, dann trat er zurück. Nach einer verlegenen Pause ging Madeline auf Sun zu und umarmte ihn. Trotz der Sonnenbrille entging Bosch der Ausdruck in Suns Gesicht nicht. Bosch spürte, dass Sun im Lauf von Madelines Rettung ungeachtet all ihrer Differenzen zu einer gewissen inneren Festigkeit gefunden hatte. Vielleicht half sie ihm, Zuflucht in sich selbst zu finden.
    »Es tut mir wahnsinnig leid«, sagte Madeline.
    Sun machte einen Schritt zurück und löste sich aus der Umarmung.
    »Dein Leben geht weiter«, sagte er. »Und es wird glücklich werden.«
    Damit wandten sie sich von ihm ab und gingen durch die Glastüren in den Terminal.
     
    Am First-Class-Schalter von Cathay Pacific kaufte Bosch zwei Tickets für den Flug um 23:40 Uhr nach Los Angeles. Er bekam zwar etwas Geld für den Flug erstattet, den er für den nächsten Morgen gebucht hatte, musste aber trotzdem zwei Kreditkarten benutzen, um den vollen Betrag bezahlen zu können. Aber das spielte keine Rolle. Er wusste, dass Erster-Klasse-Passagiere einen Sonderstatus hatten und schneller durch die Sicherheitskontrollen und an Bord kamen. Das Risiko, dass sich Flughafenpersonal, Flugbegleiter und Wachleute für einen Fluggast interessierten, war bei First-Class-Passagieren geringer, selbst wenn es sich dabei um einen abgerissenen Mann in einem blutverschmierten Sakko handelte, der von einer Dreizehnjährigen begleitet wurde, die gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen.
    Zudem wusste Bosch, dass seine Tochter in den letzten sechzig Stunden extrem traumatisierende Erfahrungen gemacht hatte, und obwohl ihm nicht einmal annähernd klar war, was er dagegen tun könnte, spürte er dennoch instinktiv, dass jedes Bisschen mehr an Komfort nicht schaden konnte.
    Angesichts Boschs wüstem Äußeren machte ihn die Frau hinter dem Schalter darauf aufmerksam, dass es im First-Class-Wartebereich eine

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