Harry Bosch 15 - Neun Drachen
Boschs Abteil.
»Sie ziehen den Schwanz ein«, sagte er nervös. »Aber Sie müssen kommen und das Ganze endgültig zum Abschluss bringen.«
»Das bekommt mein Anwalt auch allein hin. Ich habe gerade einen wichtigen Anruf erhalten.«
»Was für einen Anruf?«
»Der Anruf, der alles …«
»Harry?«
Sopp war wieder in der Leitung. Bosch hielt das Mundstück zu.
»Ich muss diesen Anruf entgegennehmen«, sagte er zu Gandle. Dann nahm er die Hand weg und sagte ins Telefon: »Teri, geben Sie mir den Namen.«
Kopfschüttelnd ging Gandle ins Besprechungszimmer zurück.
»Also, es ist nicht der Name, den Sie mir gegeben haben, sondern Henry Lau,
L-A-U.
Geburtsdatum neunter neunter zwoundachtzig.«
»Und weswegen haben Sie den Kerl im Computer?«
»Er wurde vor zwei Jahren in Venice wegen einer zweiten Verkehrsübertretung angehalten.«
»Mehr nicht?«
»Nein. Sonst liegt nichts gegen ihn vor.«
»Haben Sie eine Adresse?«
»Die Adresse auf seinem Führerschein ist Quarterdeck achtzehn in Venice. Wohnung elf.«
Bosch notierte sich die Angaben in seinem Notizbuch.
»Alles klar, und dieser Fingerabdruck ist zuverlässig?«
»Absolut, Harry. Er war ganz deutlich zu sehen, das kann ich Ihnen versichern. Wirklich unglaublich, dieses Verfahren. Bahnbrechend.«
»Und sie wollen das als Testfall für Kalifornien verwenden?«
»Meine Hand ins Feuer legen würde ich dafür nicht. Mein Chef will erst abwarten, ob es sich bei Ihrem Fall bewährt. Sie wissen schon, ob der Kerl tatsächlich der Täter ist und was für andere Beweise es gibt. Wir brauchen einen Fall, bei dem das Verfahren unverzichtbarer Bestandteil der Anklageerhebung ist.«
»Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich Näheres weiß, Teri. Und vielen Dank. Wir werden der Sache sofort nachgehen.«
»Viel Erfolg, Harry.«
Bosch hängte auf. Zuerst schaute er über die Wand des Abteils zum Besprechungszimmer. Die Jalousie war heruntergelassen, aber die Lamellen standen waagerecht, so dass Bosch hindurchblicken konnte. Er konnte Haller in Richtung der zwei Hongkonger Ermittler gestikulieren sehen. Bosch schaute noch einmal ins Abteil seines Partners, aber es war immer noch leer. Er traf eine Entscheidung und griff wieder nach dem Telefon.
David Chu war im AGU -Büro und ging sofort dran. Bosch erzählte ihm von dem Fingerabdruck auf der Patronenhülse und bat ihn, Henry Laus Namen durch seine Triaden-Datenbanken laufen zu lassen. In der Zwischenzeit, sagte ihm Bosch, würde er zur AGU fahren, um ihn abzuholen.
»Und wohin wollen Sie dann mit mir fahren?«, fragte Chu.
»Wir suchen diesen Kerl.«
Bosch legte auf und ging zum Besprechungszimmer – nicht, um sich an der Diskussion zu beteiligen, die dort geführt wurde, sondern um Gandle mitzuteilen, dass es wichtige neue Erkenntnisse zu dem Fall gab.
Als er die Tür öffnete, setzte Gandle seinen Wurde-aber-auch-langsam-Zeit-Blick auf. Bosch signalisierte ihm, nach draußen zu kommen.
»Harry, die beiden Herren haben immer noch Fragen an Sie«, sagte Gandle.
»Dann müssen Sie eben warten. Es gibt eine wichtige neue Erkenntnis im Fall Li, und ich muss der Sache sofort nachgehen. Auf der Stelle.«
Gandle stand auf und kam zur Tür.
»Ich glaube, ich bekomme das schon geregelt, Harry«, sagte Haller. »Aber eine Frage gibt es trotzdem noch, die du selbst beantworten müsstest.«
Bosch sah Haller fragend an, worauf ihm dieser mit einem Nicken signalisierte, dass die Frage unbedenklich war.
»Ja, was?«
»Soll die Leiche deiner Ex-Frau nach Los Angeles überführt werden?«
Die Frage ließ Bosch stutzen. Seine spontane Antwort darauf war ja, aber sein Zögern war darauf zurückzuführen, dass er sich über die Konsequenzen für seine Tochter Gedanken machte.
»Ja«, antwortete er schließlich. »Sie sollen sie an mich schicken.«
Bosch ging mit Gandle aus dem Zimmer und schloss die Tür.
»Also, was gibt’s?«, fragte Gandle.
Chu wartete bereits vor dem AGU -Gebäude, als Bosch am Straßenrand hielt. Er hatte eine Aktentasche bei sich, worin Bosch einen Hinweis darauf sah, dass er bereits Informationen über Henry Lau hatte. Chu stieg ein, und Bosch fuhr los.
»Wir fangen also in Venice an?«, fragte Chu.
»Ja. Was haben Sie über Lau herausgefunden?«
»Nichts.«
Bosch sah zu ihm hinüber.
»Nichts?«
»Soweit wir das feststellen können, liegt nichts gegen ihn vor. Ich konnte seinen Namen nirgendwo in unseren Datenbanken finden. Außerdem habe ich mit verschiedenen Leuten gesprochen
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