Harry Dresden 08 - Schuldig
wiederum bedeutet, ich muss den Fall indirekt angehen, wenn ich Informationen will. Sonst seid ihr durch den Zauber gezwungen, die Klappe zu halten. Wird’s langsam warm?“
Zirp, zirp. Wenn das noch länger so ging, würde ich mir wohl Sorgen machen müssen, dass Vögel auf unseren Köpfen zu nisten begannen.
Ich runzelte die Stirn und ließ mir das Ganze ein paar Minuten durch den Kopf gehen. Dann sagte ich: „Was könnte rein theoretisch die Höfe des Sommers und des Winters daran hindern, auf eine Verletzung ihres Territoriums zu reagieren?“
Lilys Augen glitzerten, und sie nickte Fix zu. Der kleine Kerl wandte sich an mich und sagte: „In der Theorie könnten das nur wenige Dinge. Der einfachste Grund wäre, wenn man die angreifende Nation nicht anerkennt oder ernst nimmt. Wenn die Königinnen keine Gefahr darin sehen, bestünde kein Grund zu reagieren.“
„Mhm“, sagte ich. „Bitte rede weiter.“
„Eine viel ernster zu nehmende Ursache wäre ein Machtungleichgewicht zwischen Sommer und Winter. Jede Reaktion auf eine Invasion würde entscheidend bestimmen, welche Ressourcen man zur Verfügung hat. Wenn ein Hof nicht Hand in Hand mit dem anderen vorgeht, böte das die ideale Gelegenheit für einen Überraschungsangriff, wenn der eigene Rücken strategisch ungedeckt ist, sozusagen.“
Ich rieb mit den Händen über meine Oberschenkel und kniff ein Auge zu. „Lass uns mal sehen, ob ich das richtig zusammenfassen kann. Der Sommer ist bereit, die Karten auf den Tisch zu legen. Doch der Winter ist nicht bereit zu helfen, da er euch lieber eins auswischt, wenn ihr mit einer anderen Bedrohung beschäftigt seid.“
Ich fasste Fix ’ Schweigen als Zustimmung auf.
„Das ist doch Wahnsinn“, sagte ich. „Wenn es soweit kommt, werden beide Höfe große Verluste erleiden. Ihr werdet beide geschwächt. Egal, wer gewinnt, ihr werdet leichte Beute für die Roten, jetzt mal rein theoretisch gesprochen.“
„Ein Ungleichgewicht zwischen Sommer und Winter ist nichts Neues“, sagte Lily. „Seit wir dir begegnet sind, herrscht so ein Ungleichgewicht, und es hält bis heute an, wegen des Schicksals des Ritters des Winters.“
Ich verzog das Gesicht. „Jesses. Der lebt noch? Nach … was, beinahe vier Jahren?“
Fix erschauderte. „Ich habe ihn einmal gesehen. Der Typ war ein Psycho. Ein drogensüchtiger Killer …“
„Und Vergewaltiger“, warf Lily mit einer flüsternden, klagenden Stimme ein.
„Ja“, bestätigte Fix mit grimmiger Miene. „Ich könnte ihm das Genick brechen, ohne dass es mir schlaflose Nächte bereiten würde. Aber niemand verdient …“ Er schluckte und erblasste. „Das.“
„Der Vollidiot hat Mab verraten“, flüsterte ich. „Ihm war bewusst, welches Risiko er eingeht.“
„Nein“, widersprach Fix. „Glaub mir, Harry. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was mit ihm geschehen würde. Das hätte er sich nie vorstellen können.“
Dass Fix sich so offenkundig unwohl fühlte, hinterließ auch bei mir einen gewissen Eindruck, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sich Mab unangenehm interessiert an mir gezeigt hatte und ich ihr noch ein paar Gefallen schuldete. Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her und versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen. „Wie auch immer“, sagte ich. „Es gibt einen Ritter des Sommers. Es gibt einen Ritter des Winters. Wo ist da ein Ungleichgewicht?“
„Er übt seine Macht nicht aus“, antwortete Fix. „Er ist ein Gefangener, und alle wissen das. Er hat keine Freiheit, keinen eigenen Willen. Er kann nicht als dessen Streiter an der Seite des Winters stehen. Wenn es um die Spannungen zwischen den Höfen geht, wäre es so, als gäbe es den Ritter des Winters überhaupt nicht.“
„Na gut“, murmelte ich. „Mab hat einen Mann auf der Strafbank. Sie will in die Offensive gehen, bevor der Sommer ein Power Play wagt, und sucht nach einem Weg, die Chancen auszugleichen. Wenn der Sommer sich auf die Jagd macht, um den Roten eins auf die Mütze zu geben, ist das ihre Gelegenheit.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich tue jetzt nicht mal so, als kennte ich Mab sehr gut, aber sie ist nicht lebensmüde. Wenn dieses Machtungleichgewicht so gefährlich ist, warum hält sie den Ritter des Winters dann am Leben? Ihr muss doch klar sein, welche Auswirkungen ein weiterer Krieg zwischen Sommer und Winter hätte. Nicht wahr?“
„Leider“, beteiligte sich Lily wieder mit verhaltener Stimme an unserem Gespräch, „haben wir nur sehr
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