Harry Dresden 08 - Schuldig
aus man die Tür gut sehen konnte. Er schob ihn etwas von der Wand weg, wienerte ihn mit einem Lappen und stellte die Stühle wieder ordentlich daran. Ich nickte ihm dankend zu und setzte mich mit meiner Limonade an den Tisch.
Ich musste nicht lange warten. Ein paar Minuten vor Mittag öffnete der Ritter des Sommers die Tür und trat ein.
Fix war gewachsen, und das meine ich wörtlich. Er war so an die eins sechzig gewesen, höchstens einen Fingerbreit größer. Nun war er sicher gut eins achtzig. Er war einst ein sehniger, junger Kerl mit weißblondem Haar gewesen, und das war er auch jetzt noch im Großen und Ganzen. Seine geschmeidigen Muskeln waren zu festen Stahlseilen geworden, und er hatte die aufgestellten Haarspitzen gegen einen Schnitt eingetauscht, wie man ihn bei Feenadeligen öfter sah – nun trug er sein Haar schulterlang. Fix war nie gutaussehend gewesen, und auch seine zusätzliche Körpergröße, die Muskeln und seine neue Frisur änderten daran wenig. Was sich jedoch geändert hatte, war sein Verhalten, das früher aus annähernd gleichen Teilen Nervosität und Fröhlichkeit zusammengesetzt gewesen war.
Der Ritter des Sommers strahlte Selbstbewusstsein und Stärke aus. Sie umloderten ihn wie das Licht eines Sterns. Als er die Tür öffnete, zogen sich die Schatten weiter in die Ecken und Winkel zurück, und ein Lufthauch, der nach Fichte und Geißblatt duftete, wehte durch den Raum. Die Luft um ihn herum stellte etwas mit dem Licht an, das klarer und schärfer, ja irgendwie reiner zurückgeworfen wurde, nachdem es ihn berührt hatte.
Fix musste sich im Gegensatz zu mir nicht verstellen. Das war aus ihm geworden: der Ritter des Sommers, der sterbliche Verteidiger des Lichten Hofes, ein Gewitter in Bluejeans und einem grasgrünen Baumwollhemd. Sein Blick schweifte zuerst zu Mac, vor dem er kurz ehrerbietig den Kopf neigte. Dann wandte er sich mir zu, lächelte und nickte. „Harry.“
„Fix“, sagte ich. „Ist ja ewig her. Du bist groß geworden.“
Er sah an sich selbst herab, und kurz war er wieder der verlegene junge Mann, den ich damals kennengelernt hatte. „Das ist irgendwie einfach passiert.“
„Das geschieht öfter im Leben“, stimmte ich zu.
„Ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber es will dich noch jemand sprechen.“
Er wandte den Kopf um, sagte etwas, und einen Herzschlag später betrat die Sommerdame die Taverne.
Lily war in ihrem ganzen Leben nie unangenehm für das Auge des Betrachters gewesen. Als Tochter sterblicher und Sidheeltern hatte sie das Aussehen, das man normalerweise nur auf den Titelseiten von Hochglanzmagazinen oder im Kino zu Gesicht bekommt. Doch ähnlich wie Fix war auch sie gewachsen; nicht körperlich, auch wenn ein pubertäres Auge sehr wohl Vergleiche mit früher angestellt und das Ergebnis äußerst ansprechend empfunden hätte. Was sich am meisten verändert hatte, war die schüchterne Unsicherheit, die in jedem ihrer Worte, in jeder ihrer Bewegungen gelegen hatte. Die alte Lily war kaum in der Lage gewesen, für sich selbst zu sorgen. Dies hier war jedoch die Sommerdame, die jüngste der Königinnen des Lichten Hofes, und als sie den Raum betrat, schien das ganze Pub plötzlich von mehr Leben erfüllt zu sein. Der Nachgeschmack der Limonade auf meiner Zunge wurde intensiver, saurer und süßer. Ich konnte jedes Flüstern des Windes hören, jede gemächliche Umrundung der Ventilatorblätter, die zu dem Wispern einer sanften Musik verschmolzen. Sie trug ein einfaches, grünes Sommerkleid, das einen starken Kontrast zu dem seidigen Wasserfall blütenweißer Locken bildete, die ihr in Kaskaden über die Schultern fielen.
Darüber hinaus bewegte sie sich, als hätte sie ein klares Ziel vor Augen. Ich fühlte die friedfertige, sanfte Kraft, die so beständig, wärmend und mächtig war wie Sommersonnenlicht. Auch ihr Antlitz hatte weiter an Charakter gewonnen. Die tollpatschige Befangenheit war einer höflichen Aufmerksamkeit gewichen, einem unausgesetzten, leisen Lachen, in das sich ein winziger Tropfen Traurigkeit mengte. Sie trat zwischen zwei reich verzierten Säulen hindurch, und die Knospen, die in das Holz geschnitzt waren, erblühten zu farbigem Leben.
Für eine Sekunde hielten alle im Raum, mich eingeschlossen, den Atem an.
Mac fing sich als Erster wieder. „Lily“, sagte er und verbeugte sich leicht in ihre Richtung. „Schön, dich zu sehen.“
Sie lächelte warm, als er sie bei ihrem Namen ansprach. „Mac“, antwortete sie.
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