Harry Dresden 08 - Schuldig
gleiche exotische Schönheit, dieselben leicht schräg stehenden Katzenaugen, dieselbe bleiche, makellose Haut. Doch dieses Mädchen trug ihr Haar in langen, zerzausten, bunten Strähnen wie eine Lumpenpuppe. Jede Strähne war in einer anderen Farbe eines zugefrorenen Ozeans gefärbt – blasse Blau- und Grüntöne, die ihre Farbe von jeweils einem anderen Gletscher der Welt geborgt hatten. Ihre Augen schimmerten in einem strahlenden Grün, und ihre Pupillen waren unnatürlich geweitet, als wäre sie auf Drogen oder unglaublich erregt. Ein filigraner Ring prangte in einem Nasenflügel, und ein Lederhalsband mit Schneeflocken aus Chrom zierte ihren zarten Hals. Sie trug Sandalen und abgeschnittene Jeans – sehr kurz abgeschnitten und verdammt knackig. Dazu hatte sie ein enges, weißes T-Shirt an, das sich über ihre Brust spannte und auf dem in blassen Buchstaben, die in interessante Kurven gezogen waren, stand: „Dein Freund steht auf mich.“
Sie pirschte sich durch die Bar an uns heran. Ich starrte auf Hüften, Lippen und faszinierende Augen, die viel zu jung schienen, um eine derart ungezügelte Sinnlichkeit auszustrahlen. Doch ich wusste es besser. Sie hätte genau so gut hundert Jahre alt sein können. Sie hatte diese Erscheinungsform gewählt, da sie war, wer sie war: die Winterdame, die jüngste Königin des Finsteren Hofes, Mabs Azubi in Bösartigkeit und Macht. Als sie an den Blumen vorbeischritt, die in Lilys Gegenwart aufgeblüht waren, zog sich Frost über die Blüten, die verdorrten und abstarben. Sie beachtete sie keinen Deut mehr, als Lily es getan hatte.
„Harry Dresden“, brummte sie mit einer tiefen, rauchigen und unbeschreiblich süßen Stimme.
Ich begrüßte sie auch. „Hallo Maeve.“
20. Kapitel
M aeve starrte mich lange an und leckte sich die Lippen. „Sieh dich bloß mal an“, gurrte sie. „Das Weiße kommt dir ja schon fast aus den Augen. Du hast seit Ewigkeiten keine Frau mehr gehabt, oder?“
Sie hatte recht. Sie hatte wirklich recht. Aber als Profischnüffler durfte ich nicht zulassen, dass dieser Gedanke mein Hirn völlig blockierte. Ich hätte eine flapsige Bemerkung zurückschießen können, doch ich beschloss, den Spott zu ignorieren. Vielleicht wurde ihr ja langweilig, und sie ließ mich in Ruhe. Statt also den verbalen Fehdehandschuh aufzunehmen, stand ich auf und zog ihr höflich einen Sessel zurück. „Willst du dich setzen, Maeve?“
Sie neigte den Kopf zur Seite, bis sie beinahe ihre Schulter berührte. Ihre rätselhaften grünen Augen durchbohrten mich förmlich. „Du kochst ja geradezu über. Vielleicht sollten wir mal privat ein Schwätzchen halten. Nur wir zwei.“
Meine Libido kam begeistert angaloppiert, um diesen Vorschlag zu unterstützen.
Seltsamerweise liegen meine Libido und ich selten auf derselben Wellenlänge. Verflixt!
„Mir wäre es lieber, wenn wir uns setzen und nett plaudern“, sagte ich.
„Lügner“, grinste Maeve.
Ich seufzte. „Na gut. Es gibt so manches, worauf ich unglaublich Lust hätte. Aber das Einzige, was hier passieren wird, ist eine nette Plauderei. Also kannst du dich genau so gut setzen, während ich dir ein Getränk besorge.“
Sie legte den Kopf schräg. Als Kontrapunkt dazu wackelte sie mit den Hüften, so dass es mir schwer fiel, nicht hinzusehen. „Sag, Magier, wie lange schon? Wie lange, seit du das letzte Mal Befriedigung gefunden hast?“
Meine Antwort war deprimierend. „Das letzte Mal, als ich Susan gesehen habe, glaube ich.“
Maeve stieß einen unwilligen Laut aus. „Nicht Liebe, Magier. Begehren. Fleischliches Begehren.“
„Beides schließt sich nicht automatisch gegenseitig aus“, antwortete ich.
Verächtlich wischte sie diesen Gedanken beiseite. „Ich will eine Antwort.“
„Macht den Anschein, als wolltest du ganz schön viel, was du nicht bekommst“, antwortete ich und warf Fix und Lily einen wortlosen, hilfesuchenden Blick zu.
Fix zuckte entschuldigend die Achseln, und Lily seufzte. „Du kannst genauso gut nachgeben, Harry. Sie ist so stur wie jede von uns. Sie ist die Einzige, die dir die Antworten geben kann, die du haben willst, und das weiß sie.“
Ich sah zu Maeve zurück, die mich beklemmend sinnlich anlächelte. „Sag, Sterblicher: Wann lag das letzte Mal frisches Fleisch, das noch nie die Berührung deiner Hand gespürt hatte, bebend unter dir, hmm?“ Sie beugte sich vor, bis ihre Augen nur Zentimeter von meinen entfernt waren. Ich roch Winterminze und etwas Üppiges und
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