Harry Dresden 09: Weiße Nächte
geschehen?“
„Du hattest Schwein, das ist geschehen. Irgendetwas, was dir da draußen über den Weg gelaufen ist, hat dir eine ordentliche Handvoll mentaler Energie um die Ohren gehauen. Doch sie musste zuerst die Schwelle überqueren und durch das Modell brechen, um an dich heranzukommen. Die Schwelle hat sie geschwächt, und Kleinchicago hatte einen Kurzschluss, als der Angriff erfolgte, sonst …“
„Sonst?“
„Sonst hättest du keine Kopfschmerzen“, erläuterte Bob. Danach verlosch das Licht in seinen Augen.
Mollys Stiefel kamen die Stufen heruntergetrampelt. Sie stellte neue Kerzen auf den Tisch, atmete tief ein, schloss kurz die Augen und benutzte dann äußerst vorsichtig denselben Spruch, mit dem ich immer Kerzen entzündete.
Das Licht spießte meine Augäpfel auf, stach mir ins Hirn und tat abscheulich weh. Ich zuckte zusammen und riss die Arme vors Gesicht.
„Tut mir leid“, sagte sie. „Ich habe nicht mitgedacht. Ich hätte dich hier unten fast nicht gesehen und …“
„Warum rammst du mir das nächste Mal nicht einfach Bleistifte in die Augen“, murmelte ich eine Minute später.
„Entschuldigung, Harry“, sagte sie. „Aspirin?“
Ich streckte die Hand aus. Sie drückte mir ein Tablettenfläschchen in eine und ein Glas kaltes Wasser in die andere Hand. Ich öffnete das Aspirin mit den Zähnen, warf einige Tabletten ein und spülte sie mit Wasser hinunter. Von dieser gewaltigen Anstrengung ermattet lag ich auf dem Boden und tat mir selbst schrecklich leid, bis nach einigen brutal veränderungsresistenten Minuten endlich die Schmerzmittel zu wirken begannen.
„Molly“, sagte ich. „Hatten wir für heute Unterricht vereinbart?“
„Nein“, sagte sie. „Aber Sergeant Murphy war bei uns zu Hause. Sie war auf der Suche nach dir. Meinte, du würdest nicht ans Telefon gehen. Also dachte ich mir, ich komme herüber und sehe nach dem Rechten.“
Ich grunzte. „Gute Idee. Irgendwelche Schwierigkeiten, durch die Schutzzeichen zu kommen?“
„Nein, diesmal nicht.“
„Gut.“ Langsam öffnete ich die Augen und versuchte, mich an das blendende Gleißen der Kerzen zu gewöhnen. „Mouse. Du solltest Mouse höchstwahrscheinlich besser rauslassen.“
Ich hörte ein Klopfgeräusch und schaute die Stufen hinauf. Mouse hatte sich dort hingekauert, und irgendwie schaffte er es, besorgt aus der Wäsche zu sehen.
„Mir geht es gut, Weichei“, versicherte ich ihm. „Geh nur!“
Molly wollte die Stufen hinaufklettern, doch dann erstarrte sie und beäugte nervös Kleinchicago.
Ich sah mit zusammengekniffenen Augen zu ihr hinüber. Dann stand ich auf und sah mit zusammengekniffenen Augen den Tisch an.
Unweit der Stelle, an der Graumantel die Unterstadt betreten hatte, war ein Loch in den Metalltisch geschmolzen. Eines der Häuser war halb zerflossen, und das Zinn war in chaotischen Rinnsalen wie Kerzenwachs in das Loch getröpfelt. In etwa zwanzig Zentimeter Umkreis um das Loch war das Modell von einer hässlichen Rußschicht bedeckt.
Wenn der Tisch diesen magischen Angriff nicht aufgefangen hätte, hätte sich dieses Loch in meinen Kopf gebrannt. Das war einer der Gründe, warum ich Kleinchicago ursprünglich gebastelt hatte – als Werkzeug und Sicherheitsmaßnahme, wenn ich eben diese Art von Magie wirken wollte. Dennoch war es ein ernüchternder Anblick.
Ich schluckte. Kutte. Es war Kutte gewesen. Ich hatte die Arglist und den Hass aus seiner Stimme gehört, die Vertrautheit – und überwältigende Macht – seiner Magie war unverwechselbar gewesen. Er hatte das Dunkelheiligtum überlebt. Er arbeitete nun mit diesem „Zirkel“ zusammen, bei dem es sich mit fast absoluter Sicherheit um den Schwarzen Rat handelte, und in Chicago war eine weitaus größere Schurkerei am Laufen, als ich zunächst geahnt hatte.
Oh, hervorragend. Die ganze Situation machte mich langsam etwas nervös.
Ich drehte mich wieder zu Molly um und sagte: „Genau, was ich immer gesagt habe. Das Ding ist gefährlich, Grashüpfer. Also wirst du damit nicht spielen, bis ich es erlaube. Verstanden?“
Molly schluckte. „Verstanden.“
„Geh schon. Kümmere dich um Mouse. Tu mir einen Gefallen und rufe Murphy per Mobiltelefon an. Bitte sie, herzukommen.“
„Brauchst du heute noch meine Hilfe?“, fragte sie. „Soll ich irgendwohin mitkommen oder so?“
Ich sah sie an. Dann den Tisch. Dann wieder sie.
„War ja nur eine Frage“, sagte Molly abwehrend und eilte die Treppe nach oben.
Als ich endlich
Weitere Kostenlose Bücher