Harry Dresden 09: Weiße Nächte
versucht, ihn davon abzubringen.“
„Was folgte dann?“
„Ich versuchte, ihn zusammen mit dem letzten Ausschuss verschwinden zu lassen.“
„Dresden mischte sich ein?“
„Ja.“
Kutte zischte: „Das ändert alles. Welche Maßnahmen hast du ergriffen?“
„Niemand von Fleisch und Blut ist mir gefolgt, Herr, dessen bin ich mir sicher.“
Kutte hob eine Hand und bedeutete Graumantel zu schweigen. Die Geste schien irgendwie steif, als würde sie Kutte Schmerzen bereiten. Seine Kapuze fuhr herum, als er den Raum absuchte.
Der Blick der Gestalt fiel auf mich und traf mich wie ein körperlicher Angriff.
„Er ist hier!“, fauchte Kutte. Die Nebelgestalt wandte sich in meine Richtung und erhob beide Hände.
Ein seltsamer, eisiger Druck schwappte über mich hinweg wie eine Woge und riss mich einige Meter mit sich, ehe ich meinen Willen ausreichend bündeln konnte, dem meinerseits Druck entgegenzusetzen. In einiger Entfernung zu Graumantel und Kutte kam ich zum Stehen.
Kutte verkrampfte seine Hand zu einer krallenartigen Pranke. „Freches Kind. Ich werde dich zerfetzen.“
Ich knurrte ihn provokativ an und stemmte meine substanzlosen Füße gegen den Boden. „Dann zeig mal, was du drauf hast, Darth Bademantel!“
Kutte schrie mich an. Er sprach ein Wort, das in meinem Schädel widerhallte und wie Donner durch die schattenhaften Umrisse von Graumantels Versteck toste. Auch wenn ich mich innerlich auf den Angriff gefasst gemacht hatte und bereit war, meinen Willen gegen seinen zu stemmen, traf mich sein nächster Schlag doch wie ein Güterzug. Ich hatte dem ähnlich wenig entgegenzusetzen wie den Gezeiten des Meeres und spürte, wie ich nach hinten in die Ferne geschleudert wurde.
In der letzten Sekunde, bevor mein geisterhaftes Ich gebannt wurde, sammelte ich all meine verbliebene Kraft, konzentrierte mich auf Graumantel und ließ sie in einen letzten Zauber fließen, der mir sein Gesicht deutlich zeigen sollte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich sogar Erfolg und erspähte das Gesicht eines Enddreißigers, lang, hager und raubtierhaft.
Das einzige, was danach folgte, war ein Geysir blutroter Qualen, so als hätte jemand meine beiden Gesichtshälften gepackt und einfach meinen Schädel in zwei Hälften gerissen.
Darauf folgte nur noch Dunkelheit.
16. Kapitel
I ch erwachte, als mich jemand an der Schulter rüttelte und jemand anderes meinen Hinterkopf an eine laufende Kreissäge presste.
„Harry“, sagte Molly. Es hörte sich an, als brülle sie durch ein Megaphon, das sie mir direkt ans Ohr hielt, während sie zugleich mit der Krallenseite eines Zimmermannshammers meinen Schädel bearbeitete. „He, Boss, kannst du mich hören?“
„Aua“, antwortete ich.
„Was ist denn passiert?“
„Aua“, wiederholte ich erbost, als sei das Erklärung genug.
Molly stieß einen genervten, besorgten Laut aus. „Muss ich dich in die Klinik bringen?“
„Nein“, ächzte ich. „Aspirin, Wasser und hör endlich auf, hier rumzubrüllen.“
„Ich flüstere kaum“, antwortete sie und stand auf. Ihre Kampfstiefel donnerten wie Godzillas Pranken auf dem Boden auf, als sie zur Stufenleiter nach oben stapfte.
„Bob“, japste ich, sobald sie außer Sichtweite war. „Was ist passiert?“
„Ich bin nicht sicher“, meinte Bob mit verhaltener Stimme. „Entweder sie geht ins Fitnesscenter, oder sie benutzt irgendwelches Kosmetikzeugs an den Armen. Sie hatte ja noch etwas Babyspeck, als sie sich das Tattoo hat stechen lassen, und genau deshalb stechen einem Veränderungen stärker ins Auge und …“
„Sie meine ich nicht“, grummelte ich, während himmlische Visionen sinnloser Gewalt durch meinen schmerzenden Schädel geisterten. „Was ist mit mir passiert?“
„Oh“, sagte Bob. „Etwas hat das Modell getroffen, und das verdammt hart. Es gab eine Art Spannungsspitze, wie bei Strom. Ka-bumm. Der mentale Rückschlag hat deine psychischen Sicherungen rausgehauen.“
„Wie schlimm?“
„Schwer zu sagen. Wie viele Finger halte ich hoch?“
Ich seufzte. „Wie arg hat es Kleinchicago erwischt, Bob?“
„Oh. Du musst endlich lernen, dich deutlicher auszudrücken. Könnte schlimmer sein. In einer Woche sollte sich das ausbügeln lassen.“
Ich grunzte. „Alles ist zu laut und zu hell!“ Ich versuchte, Verbindung zu meinen Armen und Beinen aufzunehmen. Es tat weh, sie zu bewegen, als würde ich sie böse überdehnen, aber immerhin regten sie sich. „Was ist hier genau
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