Harry Dresden 09: Weiße Nächte
Kabumm zu nennen, nachdem es sich ja um eine Westernstadt handelte und wir Magie unterrichteten, die für gewöhnlich den ein oder anderen Knall nach sich zog, doch Luccio hatte uns überstimmt. Doch eines der Kinder hatte uns gehört, und am Ende des zweiten Tages hatte sich der Name Camp Kabumm trotz des Naserümpfens des Establishments durchgesetzt.
Die etwa vierzig Kinder hatten ihre Zelte in den Grundmauern einer alten Kirche aufgebaut, die jemand errichtet hatte, um der Goldgräberstadt im Wilden Westen etwas moralische Stabilität zu schenken. Luccio hatte ihr Zelt ebenfalls dort aufgeschlagen, doch Ramirez, zwei weitere Jungwächter und ich hatten uns in einem ehemaligen Saloon, Bordell oder beidem ausgebreitet. Tagsüber und abends unterrichteten wir die Kinder, doch sobald es kalt geworden war und die Kleinen sicher in den Federn lagen, spielten wir Poker und tranken Bier, und wenn ich erst einmal genug getankt hatte, spielte ich sogar ein wenig Gitarre.
Ramirez und seine Kumpane kraxelten jeden Morgen frisch wie das Leben und mit leuchtenden Augen aus ihren Schlafsäcken, als hätten sie die ganze Nacht friedlich geschlummert. Diese altklugen, miesen, kleinen Maden. Das Frühstück wurde jeden Morgen von einigen Azubis zubereitet und serviert. Es gab einige tragbare Grills und ein paar Klapptische in der Nähe eines Brunnens, in dem immer noch kaltes Wasser zu finden war, wenn man die verwitterte Pumpe nur lang genug betätigte. Das Frühstück bestand aus wenig mehr als einer Schale Frühstücksflocken, doch ein Teil dieses „wenig mehr“ war Kaffee, also überlebte ich, ohne irgendjemanden töten zu müssen – wenn auch nur, weil ich mir das Frühstück in strenger Abgeschiedenheit zu Gemüte führte und die Morgenmuffligkeit verrauchen ließ, bevor ich mich in menschliche Gesellschaft begab.
Ich sammelte meine Frühstücksflocken, einen Apfel und eine Tasse heiligen Mokkas ein, verkrümelte mich und setzte mich im blendenden Licht des Wüstensonnenaufgangs auf einen Felsen. Luccio setzte sich neben mich.
„Guten Morgen“, grüßte sie. Luccio war Magierin des Weißen Rates, ein paar Jahrhunderte alt und eines seiner gefährlichsten Mitglieder. Auch wenn sie so gar nicht danach aussah. Sie sah aus wie ein Mädchen, das noch jünger war als Ramirez, mit langem, gelocktem braunen Haar, einem hübschen, süßen Gesicht und mörderischen Grübchen. Als ich ihr das erste Mal begegnet war, war sie eine lederhäutige Frau mit eisengrauem Haar gewesen, doch ein Magier namens Totengreifer hatte sie in einem Duell ausgetrickst. Totengreifer, damals noch in Luccios aktuellem Körper, hatte sich von ihr aufspießen lassen – und dann hatte er die Magie gewirkt, die sein Markenzeichen war, und einfach das Bewusstsein der beiden Körper vertauscht.
Ich war dem auf die Schliche gekommen, ehe Totengreifer die Zeit gehabt hatte, mit Luccios Glaubhaftigkeit Schindluder zu betreiben, doch sobald ich eine Kugel durch Totengreifers Schädel gejagt hatte, gab es für Luccio keinen Weg mehr zurück in ihren eigenen Körper. So saß sie nun in diesem jungen, schnuckeligen fest, und ich war daran schuld. Sie hatte auch aufgehört, sich in tatsächliche Schlachten zu stürzen und übertrug das Kommando in diesem Fall an ihre rechte Hand, Morgan, während sie Ausbildungslager für zukünftige Wächter organisierte. Diese sollten schließlich lernen, wie man tötete, ohne zuerst getötet zu werden.
„Guten Morgen“, antwortete ich.
„Gestern ist Post für Sie gekommen“, sagte sie und fischte ein Schreiben aus ihrer Tasche.
Ich nahm es und musterte den Umschlag. „Hmmm.“
„Von wem ist er?“, fragte sie. Ihr Tonfall deutete an, dass sie sich die Zeit mit etwas höflicher Konversation vertreiben wollte.
„Wächterin Yoshimo“, sagte ich. „Ich hatte ein paar Fragen bezüglich ihres Stammbaums. Wollte herausfinden, ob sie mit einem Mann verwandt ist, den ich kenne.“
„Ist sie?“, fragte Luccio.
„Entfernt“, sagte ich im Weiterlesen. „Interessant.“ Luccio stieß einen fragenden Laut aus. Ich meinte: „Mein Freund war ein Nachkomme des Sho Tai.“
„Ich fürchte, ich kann mit dem Namen nichts anfangen“, gestand Luccio.
„Er war der letzte König Okinawas“, erklärte ich. Ich runzelte nachdenklich die Stirn, als ich mir das durch den Kopf gehen ließ. „Ich wette, das hat etwas zu bedeuten.“
„Etwas zu bedeuten?“
Ich sah zu Luccio hinüber und schüttelte den Kopf. „Tut mir
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