Harry Dresden 09: Weiße Nächte
und einem unmenschlichen Gebrüll begleitet. Ich holte zur Befehlshaberin der Wächter auf, als das Frühstücksareal in Sichtweite kam, doch ich überließ ihr die Führung.
Ich bin unverbesserlich ritterlich. Nicht dumm.
Das Frühstücksareal lag in Trümmern. Die Klapptische lagen auf dem Boden. Blut und Frühstücksflocken waren überall verspritzt. Ich sah, dass zwei Kinder am Boden lagen, eines schrie wie am Spieß, das andere hatte sich zu einer Fötushaltung zusammengerollt und zitterte erbärmlich. Andere lagen mit dem Gesicht im Staub auf dem Boden. Vielleicht dreißig Meter von uns entfernt, in den Ruinen einer ehemaligen Schmiede, fehlte in der einzigen verbliebenen Ziegelwand ein riesiger Kreis. Er war einfach fort. Wahrscheinlich von einem dieser bizarren, grünen Energiestöße gefressen, auf die Ramirez so stand. Ich sah den Lauf einer schweren Waffe in unmittelbarer Nähe auf dem Boden liegen, etwa dreißig Zentimeter hinter der Mündung säuberlich abgetrennt. Wer auch immer die Knarre gehalten hatte, war höchstwahrscheinlich mit dem Rest der Wand verschwunden.
Ramirez’ Haupt erschien im Loch in der Wand. Eine dunkelbraune Flüssigkeit war ihm ins Gesicht gespritzt. „Befehlshaberin! Runter!“
Kugeln zischten mit einem pfeifenden Peitschen auf uns herab und ließen rechts von Luccios Fuß Staub in die Luft stieben. Der Lärm der Waffe erreichte uns etwa eine halbe Sekunde später.
Luccio zuckte nicht mit der Wimper und wurde auch nicht langsamer. Ich sah nicht, was sie getan hatte, doch die Luft zwischen uns und dem Berghang wurde urplötzlich ganz diesig. „Wo?“, donnerte sie.
„Ich habe zwei verletzte Ghule hier“, rief Ramirez. „Mindestens zwei weitere am Berghang. Vielleicht hundertzwanzig Meter!“
Noch während er sprach, duckte sich einer der Wächter um die zertrümmerte Mauer, deutete mit seinem Stab hangaufwärts und spie ein hart klingendes Wort aus. Ein leichtes Summen lag in der Luft, dann glänzte Licht auf, als ein weiß-blauer Blitz an die Stelle den Abhang hinauf fauchte, wo die Schüsse vermutlich herkamen. Er donnerte in einen Felsen und zerschmetterte diesen zu Schotter. Selbst durch den von Luccio heraufbeschworenen Dunst war es ein bizarrer Anblick.
„Aufpassen“, schrie Ramirez. „Die haben zwei der Kinder!“
Die andere Wächterin starrte ihn schockiert an und hechtete dann in Deckung, als weiteres Gewehrfeuer den Berg herunter hallte. Er stieß einen unterdrückten Schrei durch zusammengebissene Zähne aus und umklammerte sein Bein. Eines der Kinder nicht weit hinter ihm keuchte erschrocken auf und fasste sich an die Wange.
„Verdammt“, murmelte Luccio. Sie blieb rutschend auf dem Geröll stehen und hob die andere Hand. Der Dunst in der Luft verwandelte sich in wabernde Farben und der ganze Berghang machte den Eindruck einer gigantischen Lavalampe mit einem Wüstenthema.
Schüsse erklangen, als der Angreifer auf gut Glück in den Dunst feuerte. Bei jedem Schuss fuhren unsere Azubis ängstlich zusammen. „Auszubildende, bleibt auf dem Boden!“, trompetete Luccio. „Rührt euch nicht. Seid still. Verratet weder durch Bewegung noch durch Geräusche eure Position.“
Kugeln prasselten erneut nahe bei ihren Füßen auf den Boden, als sie sprach, doch sie blieb entschlossen stehen, auch wenn sich auf ihrer Stirn Rinnsale aus Schweiß gebildet hatten, da sie nur mit Anstrengung diesen großflächigen Verschleierungszauber aufrecht erhalten konnte.
„Dresden“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. „Nur eines dieser Dinger feuert noch auf uns. Es zwingt uns in Deckung, während das andere mit den Geiseln entkommt. Wir müssen vor allem die Auszubildenden beschützen, und wir können den Verletzten nicht beistehen, solange man auf uns schießt.“
„Halten Sie den Dunst aufrecht und verbergen Sie sie“, sagte ich, was einen Schuss in meine Richtung zur Folge hatte, der Steinchen aufspritzen ließ. Verständlicherweise tänzelte ich zur Seite. „Der Schütze gehört mir.“
Sie nickte, doch in ihren Augen spiegelte sich gekränkter Stolz wider, als sie mich anherrschte: „Beeilen Sie sich. Ich kann ihn nicht mehr lange halten.“
Ich nickte und sah den Hang hinauf. Dann schüttelte ich den Kopf und öffnete meinen Magierblick.
Auf einen Schlag durchdrang mein Sehen Luccios verwirrenden Dunst, als gäbe es ihn überhaupt nicht. Ich konnte die Bergflanke bis ins letzte Detail ausmachen, selbst wenn diese nun wiederum teilweise von der
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