Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
wohlklingende Stimme, die weit lauter und durchdringender war, als sein winziger Körper erahnen ließ. „Ihr wisst, weshalb ich gekommen bin?“
„Wahrscheinlich, um mich umzubringen“, riet ich mal ins Blaue hinein.
„Ja“, bestätigte Bruder Geißlein. „Auf Befehl meiner Königin, um die Ehre des Sommers zu verteidigen.“
„Warum?“, fragte ich ihn. „Warum könnte der Sommer wünschen, dass die Denarier Marcone entführen? Was hat der Sommer davon, dass das Archiv unter deren Kontrolle gerät?“
Das Geißlein betrachtete mich lange schweigend, und als es wieder zu sprechen anhob, hätte ich schwören können, dass seine Stimme nachdenklich klang. Vielleicht sogar etwas besorgt. „Es steht mir nicht zu, diese Dinge zu wissen – oder zu ergründen.“
„Die Geißlein sind die Streiter des Sommers in dieser Angelegenheit, oder etwa nicht?“, fragte ich. „Wenn nicht ihr, wer dann?“
„Was ist mit Euch, Magier?“, konterte das Geißlein. „Habt Ihr nachgefragt, warum die böse Königin des Winters zu verhindern wünscht, dass Marcone den Dienern der tiefsten Schatten in die Klauen fällt? Weshalb sie, die Tod und Vernichtung verkörpert, sich danach sehnt, das Archiv zu beschützen und zu bewahren?“
„Wenn man’s genau nimmt, habe ich das“, antwortete ich.
„Welche Antwort habet Ihr erhalten?“
„Meister Geißlein“, ächzte ich. „Ich habe schon großteils nicht den geringsten Schimmer, warum sterbliche Frauen tun, was sie tun, und es bedarf sicherlich eines weiseren Mannes als mich, um zu verstehen, was im Kopf einer Fee vor sich geht.“
Das älteste Geißlein starrte mich einen Augenblick lang ausdruckslos an. Dann warf es den Kopf in den Nacken und stieß ein Geräusch aus … das am ehesten wie ein Esel klang. „Ihh-ahh. Ihh-ahh. Ihh-ahh.“
Es lachte.
Ich fiel in das Lachen ein. Ich konnte nicht anders. Der ganze Tag war viel zu viel gewesen, und es fühlte sich einfach gut an, nur zu lachen. Ich kicherte, bis mein Magen schmerzte, und als Bruder Geißlein mich lachen sah, meckerte er um so lauter – und noch mehr wie ein Esel – wieder los, was mich wiederum anspornte.
Wir brauchten gut zwei oder drei Minuten, bis wir uns wieder gefangen hatten.
„Weißt du, dass sie Kindergeschichten über euch Typen erzählen?“, wollte ich wissen.
„Immer noch?“, sagte er.
Ich nickte. „Märchen über schlaue Geißlein, die den großen, bösen Wolf und gemeine Trolle foppen, bis der größte, stärkste Bruder erscheint, um den Bösewichten eine Lektion zu erteilen.“
Das Geißlein prustete. Dann meinte es: „Uns kommen Geschichten aber auch über Euch zu Ohren, Magier.“
Ich blinzelte. „Ihr … ah …“
„Uns behagen Geschichten ebenfalls, in denen …“ Seine Augen schlossen sich einen Moment, doch dann lächelte es zufrieden, was seinem Gesicht einen äußerst willkommenen, friedfertigen Ausdruck verlieh. „… Außenseiter, die Helden sind.“
Ich prustete meinerseits. „Na ja. Mit so einer haben wir es im Moment wohl zu tun.“
Das Lachen des Geißleins erstarb. „Mir mag es nicht gefallen, in die Rolle des Trolls oder Wolfs zu schlüpfen.“
„Dann wechsle doch die Rolle“, ermutigte ich Bruder Geißlein.
Der schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht. Ich diene dem Sommer. Ich diene meiner Königin.“
„Aber es ist vorbei“, ächzte ich. „Marcone ist frei. Ivy auch.“
„Aber Ihr seid noch hier, auf dem Felde der Schlacht“, meinte Bruder Geißlein sanft, „und ich bin es ebenfalls. Somit ist die Angelegenheit noch nicht bereinigt, und so muss ich meine Pflicht erfüllen – zu meinem größten Bedauern, Magier. Aus persönlicher Sicht empfinde ich nichts als Ehrerbietung für Euch.“
Ich legte den Kopf zur Seite und starrte ihn an. „Du sagtest, du dienst dem Sommer und deiner Königin. In dieser Reihenfolge?“
Das Geißlein ahmte meine Geste nach und musterte mich fragend.
Ich fummelte in meiner Manteltasche herum und zog einen Gegenstand hervor, den ich aus meiner Wohnung mitgebracht hatte – die kleine, silberne Brosche, die Mister über ganz Kleinchicago geprügelt hatte. Ich hatte damit gerechnet, dass sie die Jagd nach dem Eichenlaub abblasen würden, sobald sie Misters katzenminzigen Unfugs überdrüssig geworden waren.
Die Augen des Geißleins weiteten sich. „Der irreführende Zauber, mit dem Ihr unseren Suchzauber vereitelt habt, war in der Tat beeindruckend. Ich wollte Euch ohnedies fragen, wie ihr das
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