Harry Dresden 10 - Kleine Gefallen: Die dunklen Fälle des Harry Dresden Band 10 (German Edition)
nach wie vor auf den Wellen. Ich unterdrückte das Bedürfnis, laut zu jubeln, und eilte die eisigen Steinstufen so schnell es nur irgendwie ging hinunter, ohne in Gefahr zu geraten, mir das Genick zu brechen. Das Wasser war bitterkalt, doch ich konnte es immer noch nicht fühlen – was höchstwahrscheinlich gar keine so schlechte Sache war. Wenn das alles vorüber war, würde ich eine fette Hypothek an Schmerzen zurückzahlen müssen. Aber wenn man das mit all meinen anderen derzeitigen Problemen verglich, würde ich dem mit Freuden nachkommen.
Ich erreichte das Boot, warf meinen Stab an Deck und kletterte an Bord. Ich hörte einen Ruf auf dem Hügel und erstarrte. Der Lichtkegel eines Scheinwerfers tanzte über die Bäume, entfernte sich aber in eine andere Richtung. Sie hatten mich nicht erspäht. Ich grinste wie ein Idiot und krabbelte zum Fahrersitz. Sobald ich den Motor angelassen hatte, würde ich jede Menge Aufmerksamkeit erregen, doch dann musste ich einfach nur noch nach Westen düsen, bis ich wieder festen Boden erreicht hatte. Das gesamte Westufer war dicht besiedelt, und es sollte kein Problem darstellen, einen öffentlichen Ort zu erreichen, an dem ich vor weiteren Nachstellungen sicher war.
Ich ließ mich in den Fahrersitz sinken und tastete nach dem Zündschlüssel.
Doch er war verschwunden.
Ich tastete im Dunklen herum. Rosanna hatte ihn im Schloss gelassen. Ich erinnerte mich ganz genau daran.
Die Schatten auf dem Sitz mir gegenüber rissen auf und gaben den Blick auf Nikodemus frei. Dort saß er gelassen in seinen dunklen Hosen und seinem Seidenhemd, den grauen Strick wie eine Krawatte um den Hals geschlungen, die nackte Klinge seines Schwertes auf dem Schoß, und sein linker Ellenbogen ruhte auf seinem linken Knie. Von der Fingerspitze seines linken Zeigefingers baumelte der geölte Zündschlüssel des Bootes.
„Guten Abend, Dresden“, sagte er. „Suchen Sie etwa den hier?“
45. Kapitel
D er Schneeregen war wieder großen, nassen Schneeflocken gewichen. Das Boot schaukelte sanft auf dem aufgewühlten See. Wasser schlug an die Bordwände und gurgelte um den geschwungenen Bug. Eis hatte sich überall an der Bordwand zu bilden begonnen. Es gab wohl bei Booten einen Fachausdruck für alles, was nun unter einer Eisschicht verschwunden war, wie zum Beispiel Achterdeck oder Dollbord, aber in diesem Bereich kannte ich mich leider nicht so gut aus.
„Harry Dresden sprachlos“, grinste Nikodemus. „Das erlebt man nicht alle Tage.“
Ich funkelte ihn einfach nur an.
„Nur für den Fall, dass Sie selbst noch nicht dahintergekommen sind“, sagte Nikodemus, „das hier ist das Endspiel.“ Die Finger seiner rechten Hand strichen über den Griff seines Schwerts. „Kommen Sie selbst darauf, was nun passiert, oder muss ich es Ihnen erklären?“
„Sie wollen die Münzen, das Schwert, das Mädchen, das Geld und die Schlüssel zu meiner Villa in Monte Carlo“, entgegnete ich. „Sonst töten Sie mich und werfen meine Leiche über Bord.“
„So in etwa“, sagte er. „Die Münzen, Dresden.“
Ich steckte meine Hand in meine Manteltasche …
„Was zur Hölle ...“, sagte ich.
Das Crown-Royal-Säckchen war fort.
Ich durchwühlte meine anderen Taschen, wobei ich peinlichst darauf achtete, Magogs Münze nicht zu berühren – und darauf, Nikodemus ihre Anwesenheit nicht zu verraten. Kein Beutel. „Sie sind verschwunden.“
„Dresden, sparen Sie sich Ihre armseligen Lügen, wenn Sie …“
„Sie sind verschwunden“, schrie ich ihm hitzig ins Gesicht, und nichts davon war gespielt. Elf Münzen. Elf beschissene, vermaledeite Münzen. Das letzte Mal, dass ich sie mit Sicherheit besessen hatte, war oben am Turm gewesen, als ich vor Nikodemus Nase mit ihnen herumgeklimpert hatte.
Er musterte mich kurz mit forschendem Blick, doch dann murmelte er etwas in seinen Bart. Ein Flüstern drang aus den Schatten um uns. Ich kannte die Sprache nicht, den Tonfall dafür umso besser. Ich fragte mich, ob es in der Sprache der Engel Flüche und Schimpfworte gab oder ob sie einfach etwas Nettes rückwärts aussprachen. „Tug! Lede dnu tug!“
Nikodemus’ Schwert fuhr so schnell und elegant empor wie die Zunge einer züngelnden Schlange und die Spitze legte sich an meine Kehle. Ich hatte nicht mal Zeit, erschreckt zusammenzuzucken, so schnell war es geschehen. Ich japste und bleib ganz, ganz still stehen.
„Diese Abdrücke“, brummte er. „Namshiels Würge-Zauber.“ Seine Augen fuhren in
Weitere Kostenlose Bücher