Harry Dresden 11: Verrat: Die dunklen Fälle des Harry Dresden (German Edition)
Ausschau nach einer Fluchtmöglichkeit. Die Haare klebten ihm nass am Kopf, ich hörte ihn schwach husten.
Thomas lebte. Der Skinwalker hatte ihn geschlagen, gewürgt, gefoltert und fast in den eisigen Fluten des Michigansees ertränkt, aber er lebte.
Ich spürte, wie sich meine Hände fast wie von allein zu Fäusten ballten, als ein heißer, hungriger Zorn in mir aufwallte. Ich hatte nicht vorgehabt, mir den Naagloshii allein vorzuknöpfen, ich hatte Lara, ihre Leute und jedes einzelne hier auf der Insel anwesende Ratsmitglied an meiner Seite haben wollen. Indem ich ihnen zeigte, dass sie einen gemeinsamen Feind hatten, hatte ich sämtlichen Beteiligten klar machen wollen, dass sie in dieser Sache gemeinsame Interessen zu verfolgen hatten, das war mein Plan gewesen. Auf dieser gemeinsamen Interessenslage aufbauend hatte ich den Naagloshii mit der ganzen mir zur Verfügung stehenden geballten Macht überwältigen oder zumindest in die Flucht schlagen wollen, damit wir uns Thomas zurückholen konnten. Womit ich allerdings nie und nimmer gerechnet hatte, war die zahlenmäßige Stärke der Hilfstruppen, mit der der Verräter hier aufgetaucht war.
Natürlich war es ein Fehler gewesen, die Konfrontation mit dem Naagloshii ohne Unterstützung der anderen zu suchen! Ein peinlicher Fehler, wie nur ein Narr ihn begehen würde. Wenn man zornig war, war man oft wagemutiger als sonst – vielleicht konnte ich meine Wut einsetzen, um meiner Magie zusätzliche Energie zu verleihen? Aber durch Zorn allein wurde man noch nicht stärker oder geschickter, kein Zorn der Welt verhalf einem sterblichen Magier zu unüberwindbaren Kräften.
Wenn ich mich diesem Zorn hingab, wenn er die Kontrolle über mich gewann, würde er mich in ein Abenteuer stürzen, das ich nicht überleben konnte. Ich musste ihn bezähmen.
Schließlich schaffte ich es, meine Entrüstung herunterzuschlucken und den Naagloshii mit kaltem, leidenschaftslosem Blick zu betrachten. Ich würde schon noch zuschlagen, versprach ich meinem Zorn. Ich musste bloß erst einmal etwas entdecken, das halbwegs reale Aussichten auf einen Sieg versprach. Sobald das der Fall war, würde ich, unterstützt von Dämonenwinds Energien, zum Schlag meines Lebens ausholen.
Ich konzentrierte all meine Aufmerksamkeit auf den Skinwalker und wartete.
Wenig später wurde mir endgültig klar, über welch enorme Macht der Naagloshii verfügte. Eigentlich nichts Neues für mich, aber bisher hatte ich eher die körperliche Bedrohung gesehen, die er repräsentierte, und hatte trotz meines Blicks auf ihn damals auf der Straße nicht gesehen, was alles über diese rein körperliche Bedrohung hinausging.
(Diese Erinnerung kam wieder hoch und versuchte, mich matt zu setzen. Aber ich schaffte es, sie beiseite zu schieben und nicht zu beachten, was allerdings nicht ganz einfach war.)
Dank Dämonenwind erfuhr ich das Wesen des Skinwalkers nun in seiner Gesamtheit und in einem fast schon ertastbaren Sinn. Ekelmonster war praktisch seine eigene Energiequelle, seine Ley-Linie. Er verfügte über so viel übersinnliche Masse, dass er den Energiestrom, der hier unterhalb des Turms an die Oberfläche drang, durch seine Gegenwart teilweise unterbrach, so wie das Mondlicht zum Wechselspiel zwischen Ebbe und Flut beitrug. Diese Störung zeigte sich auf der Insel auf vielfältige, subtile Weise: Tiere flohen vor dem Naagloshii, wie sie vor einem Waldbrand geflohen wären. Insekten summten nicht mehr, selbst die Bäume hörten auf zu rauschen und zu flüstern, obwohl nach wie vor ein kalter Wind wehte.
Mit großen Schritten stapfte mein mächtiger Gegner hinauf zur Hütte, wo sich Morgan und mein Lehrling versteckten. Dort geschah etwas Seltsames.
Die Steine der Hütte fingen an zu glimmen wie Holz im Feuer. Viel Licht gaben sie dabei nicht ab, es reichte gerade mal, um es im Dunkeln zu bemerken, aber als der Naagloshii einen weiteren Schritt auf die Hütte zuging, wurde das Licht heller und verdichtete sich auf einzelnen Steinen, so dass Symbole zum Vorschein kamen. Bald erglühte auf jedem Stein ein sanft leuchtendes Schriftzeichen. Die Symbole waren mir unbekannt, ich hatte keine Ahnung, zu welcher Sprache die Schriftzeichen gehören mochten.
Der Naagloshii jedoch schien sie zu kennen: Er blieb wie angewurzelt stehen, und als der Wind wieder einmal die Wolken zur Seite schob, sah ich, dass er die Zähne gebleckt hatte. Mit einem langen, zischenden Laut versuchte er, einen weiteren Schritt zu machen.
Da
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