Harry Potter und der Gefangene von Askaban
Professor Lupin fort, ohne Nevilles leises entsetztes Keuchen zu beachten, »dass wir von Anfang an gewaltig im Vorteil sind. Kannst du dir denken, warum, Harry?«
Eine Antwort zu versuchen, während Hermine neben ihm auf den Fußballen auf- und abhüpfte und die Hand in die Luft streckte, war ziemlich lästig, doch Harry hatte einen Einfall.
»Ähm – weil wir so viele sind und er nicht weiß, welche Gestalt er annehmen soll?«
»Genau«, sagte Professor Lupin und Hermine ließ ein wenig enttäuscht die Hand sinken. »Man sollte nie allein sein, wenn man es mit einem Irrwicht aufnehmen will. Das bringt ihn durcheinander. Was soll er denn werden, eine kopflose Leiche oder eine Fleisch fressende Schnecke? Ich hab mal einen Irrwicht gesehen, der diesen Fehler gemacht hat – wollte zwei Leute auf einmal erschrecken und hat sich in eine halbe Schnecke verwandelt. Einfach lächerlich.
Der Zauber, der einen Irrwicht vertreibt, ist einfach, aber er verlangt geistige Anstrengung. Was einem Irrwicht wirklich den Garaus macht, ist nämlich Gelächter. Ihr müsst versuchen ihn zu zwingen, eine Gestalt anzunehmen, die ihr komisch findet.
Wir üben den Zauber erst mal ohne Zauberstab. Nach mir, bitte … Riddikulus! «
»Riddikulus!« , sagte die Klasse wie aus einem Mund.
»Gut«, sagte Professor Lupin. »Sehr gut. Aber das war leider nur der leichte Teil. Denn das Wort allein genügt nicht. Und jetzt bist du dran, Neville.«
Der Schrank fing wieder an zu zittern, allerdings nicht so heftig wie Neville, der einige Schritte vortrat, als ob es zum Galgen ginge.
»Schön, Neville«, sagte Professor Lupin. »Das Wichtigste zuerst: Was, würdest du sagen, ist es, das dir am meisten auf der Welt Angst macht?«
Nevilles Lippen bewegten sich, doch kein Wort kam heraus.
»Verzeihung, Neville, ich hab dich nicht verstanden«, sagte Professor Lupin gut gelaunt.
Neville sah sich mit panischem Blick um, als ob er jemanden bitten wollte, ihm zu helfen, dann sagte er, kaum vernehmlich flüsternd:
»Professor Snape.«
Fast alle lachten. Selbst Neville grinste peinlich verlegen. Professor Lupin jedoch war nachdenklich geworden.
»Professor Snape … hmmm … Neville, stimmt es, dass du bei deiner Großmutter lebst?«
»Ähm – ja«, sagte Neville nervös. »Aber ich will nicht, dass der Irrwicht sich in sie verwandelt.«
»Nein, nein, du verstehst mich falsch«, sagte Professor Lupin und lächelte jetzt. »Ich frage mich – könntest du uns sagen, was für Kleider deine Großmutter normalerweise trägt?«
Neville wirkte verdutzt, doch er antwortete:
»Na ja … immer denselben Hut. Einen hohen mit einem ausgestopften Geier drauf. Und ein langes Kleid … meist grün … und manchmal einen Schal aus Fuchsfell.«
»Und eine Handtasche?«, half Professor Lupin nach.
»Eine große rote«, sagte Neville.
»Sehr schön«, sagte Professor Lupin. »Kannst du dir diese Kleidung ganz genau vorstellen, Neville? Kannst du sie vor deinem geistigen Auge sehen?«
»Ja«, sagte Neville unsicher, sich offensichtlich fragend, was als Nächstes kommen würde.
»Wenn der Irrwicht aus diesem Schrank fährt und dich sieht, Neville, wird er die Gestalt von Professor Snape annehmen«, sagte Lupin. »Und du hebst deinen Zauberstab – so – und rufst ›Riddikulus‹ – und denkst ganz fest an die Kleider deiner Großmutter. Wenn alles gut geht, wird Professor Irrwicht Snape gezwungen sein, mit diesem Geierhut, dem grünen Kleid und der großen roten Handtasche aufzutreten.«
Die Klasse lachte laut auf. Der Schrank zitterte noch heftiger.
»Wenn Neville es gut macht, wird der Irrwicht seine Aufmerksamkeit danach wahrscheinlich uns zuwenden, und zwar einem nach dem andern«, sagte Professor Lupin. »Ich möchte, dass ihr alle mal kurz überlegt, was euch am meisten Angst macht, und euch vorstellt, wie man es zwingen kann, komisch auszusehen …«
Im Zimmer wurde es still. Harry dachte nach … wovor hatte er am meisten Angst?
Als Erstes fiel ihm Lord Voldemort ein – ein Voldemort, der seine alte Kraft wiedererlangt hätte. Doch bevor er auch nur angefangen hatte, einen möglichen Gegenangriff auf einen Irrwicht-Voldemort zu planen, drang ein schrecklicher Gedanke in sein Bewusstsein …
Eine verwesende, glibbrig schimmernde Hand, die unter einen schwarzen Umhang zurückgleitet … ein unsichtbarer Mund, der mit lang anhaltendem Rasseln Luft einzieht … dann Kälte, so durchdringend, als ob er ertrinken würde …
Harry schauderte
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