Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
nicht wahr? Frei von der Last seiner Schwester, frei, um der größte Zauberer der –«
»Er war niemals frei«, sagte Harry.
»Wie bitte?«, sagte Aberforth.
»Niemals«, sagte Harry. »In der Nacht, als Ihr Bruder starb, nahm er einen Zaubertrank, der ihn in den Wahnsinn trieb. Er fing an zu schreien, flehte jemanden an, der nicht da war. Tu ihnen nicht weh, bitte … tu doch mir weh.«
Ron und Hermine starrten Harry an. Er hatte nie im Detail geschildert, was sich auf der Insel im See abgespielt hatte: Die Ereignisse, die auf seine und Dumbledores Rückkehr nach Hogwarts gefolgt waren, hatten das alles völlig in den Schatten gestellt.
»Er meinte, wieder dort zu sein, mit Ihnen und Grindelwald, da bin ich mir sicher«, sagte Harry und erinnerte sich daran, wie Dumbledore gewimmert und gefleht hatte. »Er meinte, er würde dabei zusehen, wie Grindelwald Ihnen und Ariana Schmerzen zufügte … es war eine Folter für ihn; wenn Sie ihn damals gesehen hätten, würden Sie nicht behaupten, er wäre frei gewesen.«
Aberforth schien in die Betrachtung seiner eigenen, knotigen und geäderten Hände versunken. Nach einer langen Pause sagte er: »Wie kannst du sicher sein, Potter, dass mein Bruder nicht stärker am größeren Wohl interessiert war als an dir? Wie kannst du sicher sein, dass du nicht entbehrlich bist, genau wie meine kleine Schwester?«
Ein Eissplitter schien Harrys Herz zu durchbohren.
»Ich glaube das nicht. Dumbledore hat Harry geliebt«, sagte Hermine.
»Warum hat er ihm dann nicht befohlen, sich zu verstecken?«, schoss Aberforth zurück. »Warum hat er nicht zu ihm gesagt, pass auf dich auf, so und so kannst du überleben?«
»Weil«, sagte Harry, ehe Hermine antworten konnte, »weil man manchmal an mehr denken muss als an die eigene Sicherheit! Manchmal muss man an das größere Wohl denken! Das hier ist Krieg!«
»Du bist siebzehn, Junge!«
»Ich bin volljährig, und ich werde weiterkämpfen, auch wenn Sie aufgegeben haben!«
»Wer behauptet, dass ich aufgegeben hätte?«
»›Der Orden des Phönix ist erledigt‹«, wiederholte Harry. »›Du-weißt-schon-wer hat gesiegt, es ist vorbei, und jeder, der etwas anderes behauptet, macht sich selbst was vor.‹«
»Ich sage nicht, dass mir das gefällt, aber es ist die Wahrheit!«
»Nein, das ist es nicht«, sagte Harry. »Ihr Bruder wusste, wie man Du-weißt-schon-wen erledigen kann, und er hat dieses Wissen an mich weitergegeben. Ich werde weitermachen, bis ich mein Ziel erreicht habe – oder sterbe. Glauben Sie nicht, dass ich nicht weiß, wie das enden könnte. Ich weiß es seit Jahren.«
Er machte sich darauf gefasst, dass Aberforth spotten oder ihm widersprechen würde, doch das tat er nicht. Er blickte nur finster vor sich hin.
»Wir müssen nach Hogwarts rein«, sagte Harry noch einmal. »Wenn Sie uns nicht helfen können, warten wir bis zur Morgendämmerung, lassen Sie in Ruhe und versuchen auf eigene Faust, einen Weg zu finden. Wenn Sie uns helfen können – nun, dann wäre jetzt ein geschickter Zeitpunkt, darüber zu reden.«
Aberforth verharrte reglos in seinem Sessel und starrte Harry mit diesen Augen an, die denen seines Bruders so ungeheuer ähnlich waren. Endlich räusperte er sich, stand auf, ging um den kleinen Tisch herum und trat auf das Porträt Arianas zu.
»Du weißt, was zu tun ist«, sagte er.
Sie lächelte, wandte sich um und ging davon, nicht wie Leute in Porträts dies sonst immer taten, seitlich aus ihrem Rahmen hinaus, sondern durch eine Art langen Tunnel, der hinter ihr gemalt war. Sie sahen zu, wie ihre schmächtige Gestalt immer kleiner wurde, bis die Dunkelheit sie schließlich verschluckte.
»Ähm – was –?«, setzte Ron an.
»Es gibt jetzt nur noch einen Weg hinein«, sagte Aberforth. »Ihr müsst wissen, laut meinen Informanten werden sämtliche alten Geheimgänge an beiden Enden beobachtet, Dementoren schleichen überall um die Grenzmauern herum, und in der Schule wird regelmäßig patrouilliert. Noch nie wurde Hogwarts so streng bewacht. Wie wollt ihr irgendwas unternehmen, wenn ihr mal drin seid, wo doch Snape Schulleiter ist und die Carrows seine Stellvertreter sind … nun, das ist eure Sache, oder? Ihr sagt, ihr seid bereit zu sterben.«
»Aber was …?«, sagte Hermine, die mit gerunzelten Brauen Arianas Bild betrachtete.
Ein winziger weißer Punkt war am Ende des gemalten Tunnels erschienen, und er wuchs und wuchs, während Ariana jetzt wieder auf sie zukam. Doch wurde sie von
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