Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
hatte Helena Ravenclaws Verlangen nach sagenhaften Gegenständen, auf die sie wenig Anrecht hatte, gewiss verstanden.
»Nun, Sie waren nicht die Erste, der Riddle etwas abgeluchst hat«, murmelte Harry. »Er konnte charmant sein, wenn er wollte …«
Also hatte es Voldemort geschafft, der grauen Dame zu entlocken, wo sich das verschollene Diadem befand. Er war zu diesem weit entfernten Wald gereist und hatte es aus seinem Versteck geholt, vielleicht gleich nachdem er Hogwarts verlassen, noch ehe er seine Arbeit bei Borgin und Burkes aufgenommen hatte. Und waren Voldemort jene abgelegenen albanischen Wälder nicht wie eine hervorragende Zuflucht erschienen, als er sehr viel später einen Platz brauchte, wo er sich zehn lange Jahre ungestört versteckt halten konnte?
Aber sobald das Diadem einmal zu seinem wertvollen Horkrux geworden war, blieb es nicht in diesem schlichten Baum … nein, das Diadem wurde heimlich in sein wahres Zuhause zurückgebracht, Voldemort musste es dort hinterlegt haben –
»– an dem Abend, als er eine Stelle verlangte!«, sagte Harry und beendete damit seinen Gedankengang.
»Verzeihung bitte?«
»Er versteckte das Diadem im Schloss, an dem Abend, an dem er Dumbledore bat, ihn an der Schule unterrichten zu lassen!«, sagte Harry. Erst indem er es laut aussprach, konnte er sich einen Reim auf all das machen. »Er muss das Diadem auf dem Weg hinauf zu Dumbledores Büro versteckt haben, oder als er wieder hinunterging! Aber es war immerhin einen Versuch wert, diese Stelle zu bekommen – denn dann hätte er vielleicht die Gelegenheit gehabt, auch noch Gryffindors Schwert zu klauen – danke, vielen Dank!«
Harry ließ sie schwebend dort zurück, mit vollkommen verdutzter Miene. Als er wieder in Richtung Eingangshalle um die Ecke bog, sah er auf seine Uhr. Es war fünf Minuten vor Mitternacht, und obwohl er jetzt wusste, was der letzte Horkrux war, hatte er immer noch nicht herausgefunden, wo er steckte …
Generationen von Schülern war es nicht gelungen, das Diadem zu finden; das ließ vermuten, dass es nicht im Ravenclaw-Turm war – aber wenn nicht dort, wo dann? Welches Versteck hatte Tom Riddle im Schloss Hogwarts ausfindig gemacht, von dem er glaubte, es würde für immer ein Geheimnis bleiben?
Tief versunken in verzweifelte Spekulationen, bog Harry um eine Ecke, doch er war nur wenige Schritte den neuen Korridor entlanggegangen, als links von ihm mit einem ohrenbetäubenden, enormen Krach ein Fenster zerbarst. Er sprang zur Seite, und ein riesiger Körper flog durch das Fenster und schlug an die gegenüberliegende Wand. Etwas Großes und Pelziges löste sich jaulend von dem Neuankömmling und stürzte sich auf Harry.
»Hagrid!«, brüllte Harry, während er die Zudringlichkeiten von Fang, dem Saurüden, abwehrte, und die gewaltige bärtige Gestalt rappelte sich auf. »Was zum –?«
»Harry, du hier? Du hier!«
Hagrid bückte sich und bedachte Harry mit einer flüchtigen Umarmung, die ihm fast die Rippen brach, dann ging er eilends zurück zu dem zerschmetterten Fenster.
»Braver Junge, Grawpy!«, brüllte er durch das Loch in der Scheibe. »Wir sehn uns gleich, sei schön brav!«
Hinter Hagrid konnte Harry draußen in der dunklen Nacht Lichtgarben in der Ferne sehen, und er hörte einen unheimlichen, klagenden Schrei. Er blickte auf seine Uhr: Es war Mitternacht. Die Schlacht hatte begonnen.
»Mensch, Harry«, keuchte Hagrid, »jetzt is’ es so weit, was? Zeit zu kämpfen?«
»Hagrid, wo kommst du denn her?«
»Hab Du-weißt-schon-wen oben in unsrer Höhle gehört«, sagte Hagrid grimmig. »Durchdringende Stimme, nich wahr? ›Ihr habt bis Mitternacht, um mir Potter zu geb’n.‹ Hab gewusst, dass du hier sein musst, hab gewusst, dass das passier’n würd. Platz, Fang. Da kommen wir doch un’ machen mit, ich un’ Grawpy un’ Fang. Ham uns durch die Grenze am Wald geschlag’n, Grawpy hat uns getragen, Fang un’ mich. Hab ihm gesagt, er soll mich am Schloss runterlassen, da hat er mich durchs Fenster geschubst, der Gute. War nich genau das, was ich meinte, aber – wo sin’ Ron un’ Hermine?«
»Das«, sagte Harry, »ist eine wirklich gute Frage. Komm mit.«
Sie hasteten zusammen den Korridor entlang, Fang sprang neben ihnen her. Harry konnte hören, dass in den Gängen rundum Bewegung herrschte: rasche Schritte, Schreie; durch die Fenster sah er weitere Lichtblitze auf dem dunklen Gelände.
»Wo gehn wir hin?«, japste Hagrid, der Harry mit wuchtigen
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