Harrys Höllen-Cocktail
nicht begriffen, daß er es war, der den Becher bis zum Grund leeren mußte.
»Der Cocktail schmeckt ausgezeichnet!« lobte Harry sein Getränk. »Du wirst dich wundern.«
»Ja, ja…« Der Becherrand erreichte die Unterlippe des Spaniers. Ramon hatte sich über die Wärme des Metalls gewundert und schaute nun direkt auf die Oberfläche der brodelnden Flüssigkeit, deren Farbe dun kel war und auch an Blut erinnerte wie der gezeichnete Kreis auf dem Boden.
Der Rauch stieg an den Innenwänden des Bechers in die Höhe, verteilte sich nahe der Öffnung und stieß in die Nasenlöcher des riechenden Mannes. Er ekelte sich vor dem Geruch. Genau konnte er ihn nicht identifizieren. Schwefel und streng riechendes Tierblut schienen sich zu einer Mischung vereinigt zu haben.
»Trink! Trink, mein Junge!« Die Stimme des Mixers klang drängend und gleichzeitig wütend. »Wenn nicht, wirst du in den Kreis gehen müssen, dann kann dich die Hölle verschlingen. Aber so bleibst du am Leben.« Er kam vor und stellte sich so hin, daß der Spanier ihn auch sehen konnte. Der Rauch verzerrte das Gesicht des Mixers, so daß es fast schon so aussah wie eine Höllenfratze.
Ramon überwand auch seine letzte Hemmschwelle. Er kippte den Becher, öffnete den Mund, und die Flüssigkeit rann wie dicker Sirup über seine Lippen in den Rachen hinein, wo er dann automatisch schlucken mußte, denn ausspeien konnte er sie nicht mehr.
Der Höllendrink schmeckte nicht einmal schlecht. Leicht süßlich und gleichzeitig auch bitter. So ähnlich wie ein Magenlikör. Nur daß dieses Zeug warm war, paßte ihm nicht und daß er nicht wußte, woraus es gemixt worden war.
»Bis zum letzten Tropfen wirst du ihn leeren müssen«, sagte Harry. »Bis zum letzten Tropfen.«
Ramon nickte und trank. Er schluckte weiter, er trank, er leckte sogar noch einen über den Rand gelaufenen Tropfen ab und ließ den Becher erst dann sinken.
Mit einem gezielten Griff nahm der andere ihm das Gefäß aus der Hand.
»So«, sagte er, »das genau war es. Das habe ich von dir erwartet, weil du dich für die zweite Möglichkeit entschieden hast.« Er begann leise zu lachen, bevor er fragte: »Wie fühlst du dich denn?«
Ramon keuchte und mußte sich die Hand vor den Mund halten. Er holte ein paarmal tief Luft, bevor er eine Antwort geben konnte. »Gar nicht mal so schlecht.«
»Das kann ich mir vorstellen. Die Hölle ist oft süß. Weißt du eigentlich, welche Eigenschaften ich meinem Drink gegeben habe?«
»Nein.«
»Dann will ich es dir sagen.« Bei jedem Wort, das folgte, schnickte er mit den Fingern. »Explosiv, dämonisch — tödlich…«
Ramon spürte, daß es ihm besser ging und er auch wieder die Kraft bekam, über das Gesagte nachzudenken. Er wiederholte die Worte, vor allen Dingen das letzte. »Tödlich…?«
»Ja.«
»Wieso? Du hast mir gesagt…« Mit einer Handbewegung schnitt Harry ihm das Wort ab.
»Nichts habe ich gesagt, obwohl ich dir einige Erklärungen gab. Der Cocktail läßt dich am Leben, und er ist trotzdem tödlich.«
»Ich verstehe nicht.«
»Er hat dich zu einem Diener gemacht.«
»Von dir?« fragte Ramon erstaunt.
»Auch, aber du dienst dem Teufel. Du bist, nach Einnahme des Höllen-Cocktail eine lebende Zeitbombe. Das heißt, du kannst, wenn du Pech hast, jeden Augenblick explodieren. Deshalb das Wort explosiv. Dämonisch ist der Trank selbst, und tödlich wird er für dich sein, wenn du unseren Befehlen nicht folgst. Klar — oder?«
Ramon nickte, obwohl er nichts verstand. »Wie geht es denn jetzt weiter?«
»Für dich bleibt alles beim alten. Nein, nicht ganz«, verbesserte sich der Mixer. »Du wirst die Welt mit anderen Augen sehen. Du wirst sie erleben. Der Genuß des Cocktails eröffnet dir andere Dimensionen. Du lernst das Gefühl einer Macht kennen, die man mit Geld nicht kaufen kann. Eine Macht und eine Stärke, wie sie dir nur die Hölle geben kann. Der Trank hat dich gestärkt. Jeder, der ihn bisher zu sich genommen hat, erfreut sich bester, höllischer Gesundheit. Und du bist damit in eine Gemeinschaft aufgenommen worden, die sich hier in Cannes etabliert hat. Wir nennen uns ganz einfach Höllenbrüder.«
Ramon nickte. Er fand es plötzlich nicht mehr so schlimm, daß er den Trank zu sich genommen hatte. Im Gegenteil, es gefiel ihm plötzlich. »Und wie finde ich die Brüder?«
»Ihr werdet euch ansehen und euch erkennen.«
»Was tun wir?«
Harry lächelte wieder. »Zuerst nur abwarten und schauen. Der Sommer steht vor
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