Hart
einen keckernden Ruf aus. Sein grauer Körper schimmerte im Licht.«Normalerweise kommen sie nicht so nah an die Insel heran», sagte der Ruderer. Ich schaute zu der Stelle, wo der Delphin verschwunden war. «Wissen Sie, was wir über Delphine sagen, die so nahe kommen?»
Ich sah mich nach ihm um. Seine Augen waren ernst.
«Was denn?»
«Wir sagen, dass sie kommen, um für jemanden zu sorgen. Delphine sind sehr fürsorglich, wissen Sie. Sie sind auch sehr treu. Wir sagen, wenn ein Delphin so nahe kommt, will er jemanden beschützen. Vielleicht seine Weisheit weitergeben.»
Ich lächelte. «Das haben Sie gerade erfunden.»
«Meinen Sie?»
Er zog das Boot näher ans Ufer. Ich watete an den Strand. Der Sand war weiß und das Haus auf der kleinen Klippe so verwittert, dass es fast die Farbe des Sands hatte. Es war sehr klein, aber abgelegen und idyllisch und genau das, was ich brauchte.
«Wie heißen Sie?», fragte ich den Ruderer. Er stieg schon wieder in sein Boot.
«Adrian.»
«Wie nehme ich Kontakt mit Ihnen auf, wenn ich die Insel verlassen will?»
Er zeigte auf eine Bar, ein kleines Gebäude, das von dort, wo wir standen, kaum zu sehen war. «Der Mann in der Bar weiß, wie er mich herbekommt. Sie gehen dorthin und lassen mich rufen, und dann komme ich und hole Sie.»
«Einfach so?»
«Jo», sagte er, und zum ersten Mal fiel mir sein Dialekt auf. «Einfach so.»
Ich sah, wie er das Boot ins Wasser manövrierte. Er grüßte mich zum Abschied. «Passen Sie auf die Delphine auf.»
Ich sah Adrian nach, bis er nur noch ein Punkt am Horizont war. Noch lange, nachdem das kleine Boot verschwundenwar, hielt ich nach den Delphinen Ausschau, aber sie zeigten sich nicht mehr.
Das Haus war unverschlossen, und der Schlüssel hing an einer Schnur neben der Haustür. Ich hatte im Voraus gezahlt und würde den Besitzer des Hauses wahrscheinlich gar nicht zu Gesicht bekommen.
Ich öffnete die Tür und trat ein.
Das kleine Häuschen war gemütlich und mit verwitterten Möbeln ausgestattet, die draußen am Strand so passend gewesen wären wie hier unter dem Dach. Der Boden knarrte, als ich darüberging. Breite, tief nach unten gezogene Fenster gingen aufs Meer hinaus und waren durch die Gischt von einer dünnen Salzschicht überzogen. Die Welt draußen wirkte körnig und fern. Der kleine Raum war vom Tosen des Wassers erfüllt.
Ich ging ins Schlafzimmer mit seinem kleinen Bett, strahlend weißer Bettwäsche und einem Nachttisch, auf dem neben einem Bücherstapel eine Lampe stand. Es gab viele dicke Kopfkissen. In der Ecke stand ein abgenutzter kleiner Sessel mit zerschlissenen Kissen. Die Küche war klein und altmodisch, aber im Kühlschrank standen Bier und andere Getränke sowie eine große Packung Eis am Stiel. Lächelnd nahm ich mir ein orangefarbenes Eis, bevor ich auf die Veranda trat und auf die Wellen blickte.
Am Himmel flogen Vögel und riefen sich gegenseitig zu. Sie landeten mit einem scharrenden Geräusch auf dem Dach. Die Schaukel quietschte bedrohlich, als ich mich daraufsetzte, hielt meinem Gewicht aber stand. Die Armlehnen waren vom vielen Gebrauch seidenglatt. Ich fragte mich, wie viele Leute vor mir hier gewesen waren.
Ich schlüpfte aus den Sandalen und legte den Fuß aufs Geländer. Die Sonne lugte hinter einer Wolke hervor, und in der Höhe sangen die Vögel.
Ich vermisste Tom.
Es war ein gutes Zeichen, dass ich ihn vermisste und nicht Michael. Es bedeutete, dass ich mich auf den Mann konzentrierte, den ich hatte, und nicht auf den, den ich verloren hatte.
Ich blieb dort sitzen, bis die Sonne unterging. Alles war von leuchtenden Farben durchtränkt. Das Blau wurde zu Rot und das Rot zu einem tiefen Purpurrot. Allmählich verstummten die Vögel. Als das Purpurrot in Schwarz überging, toste der Ozean sogar noch lauter, als wollte er den Sonnenuntergang feiern.
Von den Kneipen unten am Strand drang ein ferner, pulsierender Beat herüber. Kein Mensch hatte mich bisher hier draußen gestört, und das lag wohl daran, dass jedermann dort drüben war.
Ich ging dorthin.
Die Bar war überraschend klein, wenn man bedachte, wie viele Leute sich darin versammelt hatten. Der Barkeeper plauderte freundlich mit jedermann und lachte und scherzte mit seinem singenden Inseldialekt. Er steckte mein Geld ein, schob mein Bier über den Tresen und zwinkerte mir vergnügt zu.
Im Sand neben dem Plankenweg der Strandpromenade fand ich einen etwas abseits stehenden Tisch. Er hatte zwei Plätze. Ich setzte mich auf
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