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Hart

Hart

Titel: Hart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Masters
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den einen Stuhl und sah den anderen an, während ich mein Bier trank. Der erste Schluck mit seinem zu Kopf steigenden Geschmack machte mich fast schwindelig.
    «Hätten Sie gern Gesellschaft?»
    Ich blickte zu dem Mann auf, der an meinem Tisch stand. Er hatte keine besonders markanten Gesichtszüge und wirkte eher unauffällig. Aber er hatte dennoch etwas Faszinierendes an sich – in Anbetracht seiner Gesichtsform und seines Blicks fragte man sich unwillkürlich, von welchem exotischen Ort er wohl stammen mochte. Sein Haarwar schwarz, und die Augen waren fast ebenso dunkel. Er war sonnengebräunt und gebaut nach Art eines Mannes, der nicht ins Fitnessstudio geht, weil er das nicht nötig hat. Er war sehnig, aber nicht muskulös, und gutaussehend erst auf den zweiten Blick.
    Ich merkte, dass ich ihn anstarrte. Die Röte stieg mir ins Gesicht, und ich war dankbar für das Mondlicht.
    «Ich weiß nicht recht», sagte ich. «Ich denke, ich brauche heute Zeit für mich selbst.»
    Mit strahlend weißen, perfekt geraden Zähnen lächelte er zu mir herunter. «Dann also nächstes Mal.»
    Er ging weg, und die Dunkelheit verschluckte ihn. Ich trank noch einen Schluck Bier und beobachtete die Leute in der Bar. Da waren junge Pärchen, die die Hände nicht voneinander lassen konnten. Eine Frau sah ständig auf den glänzenden Ring an ihrem Finger, als könne sie gar nicht glauben, dass er da saß. Sie war mit ihrem Mann in den Flitterwochen. Als die beiden in meine Richtung schauten, hob ich mein Bierglas, und sie prosteten zurück.
    Da waren Männer mit einem weißen Streifen an der Stelle, wo sonst der Ehering saß. Frauen mit traurigen Gesichtern, die ein wenig zu viel und ein wenig zu schnell tranken. Da waren Geschäftsleute mit Handys am Ohr, die selbst hier im Paradies Überstunden machten. Ein paar Minuten lang beobachtete ich einen Mann, der an einem großen Korbtisch Papierkram erledigte. Seine Aktentasche war geöffnet, und Papiere in allen Farben lugten heraus. Im Licht der kleinen Lampe, die vor ihm stand, sah sein Gesicht angespannt aus.
    Ich trank mein Bier aus, während ich ihn beobachtete. Einmal schaute er hoch und fing meinen Blick auf. Ich wurde mit einer finsteren Grimasse bedacht, bevor er sich wieder an die Arbeit machte.
    Der Barkeeper tauchte wie aus dem Nichts neben meinemTisch auf. Er stellte das nächste Bier vor mich hin, und ich legte das Geld auf den Tisch. Schon hatte er es eingesteckt und ging weiter mit dem Tempo eines erfahrenen Bar-Veteranen von einem Tisch zum anderen.
    Beim ersten Schluck des zweiten Biers fühlte ich mich angenehm benommen. Wahrscheinlich würde ich mich betrinken. Warum auch nicht? Das Haus war in Gehweite. Ich musste nirgendwohin. Also leerte ich das halbe Bier in einem einzigen langen Zug.
    Viel später – und mehrere Bier später – kam der Mann von eben zurück. Mr.   Exotik. Ich lächelte zu ihm auf, während er auf mich hinuntersah. Von dort, wo ich saß, wirkte er wie ein Turm der Versuchung.
    Turm der Versuchung? Ich kicherte über meine eigenen Gedanken.
    «Sie sind betrunken», sagte er.
    «Stimmt.»
    «Ich auch bald. Hätten Sie jetzt gern Gesellschaft?»
    Ich zuckte die Schultern. Er holte noch zwei Bier an der Bar und kam zum Tisch zurück. Mit seinem langen Körper saß er zusammengesackt im Stuhl und betrachtete die Welt aus gleichmütigen Augen. Er fuhr mit den Fingern durch den Sand neben dem Stuhl, wischte alles weg und begann von vorn.
    Er trug keinen Ehering.
    «Wo kommen Sie her?», fragte ich.
    Er nahm einen langen Schluck aus seinem Glas. «Aus Brasilien.»
    Ich nickte, als hätte ich das schon gewusst. «Wie heißen Sie?»
    «Daniel.»
    «Das kommt mir nicht wie ein brasilianischer Name vor. Ich hatte wohl etwas anderes erwartet. Wie Ronaldo.»
    «Der Fußballspieler?»
    «Ist er das?»
    Daniel lächelte. «Vielleicht sind Sie stärker betrunken, als ich dachte.»
    «Ich dürfte es wohl kaum zum Haus zurückschaffen, ohne zu ertrinken.»
    Er nickte mitfühlend. Er kippte sein Bier hinunter, als könnte er unbegrenzt trinken. Ich sah zu, wie er das zweite Glas leerte und dem Barkeeper winkte, das dritte zu bringen. Seine Augen wanderten über alles und jeden. Er sah einer Frau im Bikini nach, die vorbeiging. Er schien alles in sich aufzunehmen und seinem Gedächtnis einzuverleiben.
    Plötzlich erinnerte mich das an Michael.
    «Was arbeiten Sie?», fragte ich.
    Er dachte einen Moment lang über seine Antwort nach. «Ich könnte Sie belügen»,

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