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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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hast du deine Ruhe.«
    »Das …«, mir blieb kurz die Luft weg vor lauter Zittern, »das un-unterschrei-eibe ich nicht.«
    »Nicht so voreilig, Schätzle. Denk nach.«
    »Ich kön-n-nte das Ge-he-ständnis jederzeit widerrufen.«
    »Du könntest, aber du wirst nicht. Soll ich dir sagen, warum?«
    Ich nickte wider Willen.
    »Das stehst du gar nicht durch, diese Verhöre, immer wieder dieselben indiskreten Fragen. Man behandelt dich wie einen Schwerverbrecher. Du kommst dir lächerlich vor, wenn du immer wieder sagen musst, ›nein, ich war es nicht‹, immer und immer wieder. Du willst, dass das aufhört, und eines Tages sagst du einfach mal entnervt, ›ja, ich war’s‹, und dann geht es erst richtig los. Am En de weißt du nicht mehr, ob du es getan hast oder nicht, und du fängst an abzustreiten, dass du Nerz heißt.«
    Beckstein hakte die Daumen in den gürtellosen Ho senbund. »Jetzt glaubst du noch, du hättest den längeren Atem. Aber schau dich doch an: Man hat dich ein wenig hart angefasst, und schon scheißt du dir in die Hosen. In zwei Wochen bist du ein Wrack. Glaub mir, Schätzle, ich habe schon härtere Männer hier zusammenklappen sehen, Schwerverbrecher, Massenmörder, Vergewaltiger von der übelsten Sorte, die hier saßen und Rotz und Was ser geheult und gebittelt und gebettelt haben, dass sie was unterschreiben dürfen, damit man sie endlich in Ruhe lässt.«
    Die Bodenkälte eroberte über meine Zehennägel die Füße. Den kleinen Zeh spürte ich schon nicht mehr. Ich hob die Füße vom Stein, aber das ließ sich nur ein paar Sekunden durchhalten, dann krampften die Oberschenkel, und ich musste die Fersen absetzen.
    Beckstein beugte sich vor. »Außerdem, was regst du dich auf? Du bist doch gar nicht verhandlungsfähig. Die stecken dich gar nicht ins Gefängnis. Wir besorgen dir den besten Gutachter. Man wird dir helfen. Man wird sich um dich kümmern. Es wird dir gefallen. Viele Menschen werden sich mit dir beschäftigen. Du kommst in ein Krankenhaus, da kannst du malen, zeichnen, da kannst du dir alles von der Seele reden. Man wird dir zuhören. In ein paar Jahren bist du ein neuer Mensch, frei von diesen Zwangsvorstellungen. Du kannst wieder auf die Straße und den Jungs hinterherschauen, ohne den zwanghaften Wunsch zu verspüren, ihnen die Hosen runterzuziehen und den Popo zu versohlen.«
    Ich schob die Hände unter die Schenkel. So konnte ich die Füße ein paar Millimeter über dem Eis halten.
    »Wir wissen doch alle«, fuhr Beckstein fort, »dass du nichts dafür kannst. Ein kleiner Schulfreund ist mal sehr böse zu dir gewesen. Er hat dir im Sandkasten das Höschen runtergezogen, und deine Mama hat dich dabei erwischt und dir den Popo versohlt. Das war ungerecht, sehr ungerecht. Böse Mama. Aber eigentlich war es ja dieser Rotzbengel, der dich bloßgestellt hat. Er ist schuld, dass deine Mama dich geschlagen hat und dass du ein böses kleines schamloses Mädchen warst. Damals konntest du nichts dagegen machen. Aber jetzt bist du groß und stark und machst den Macker. Du kannst den wirklich Schuldigen versohlen, wie er es verdient hat. Diese Buben sind doch alle gleich. Sie prahlen mit ihrem Schniepel herum und drangsalieren die Mädchen auf dem Schulhof. Höchste Zeit, dass ihnen mal jemand zeigt, wo es langgeht. Die sollen auch mal spüren, wie das ist, wenn es was setzt und wenn die Pobäckchen wackeln wie Ziegenpeter. Erst sind sie ganz weiß und haben eine Gänsehaut, dann werden sie rot, himbeerrot.«
    Becksteins Hefeteiggesicht hatte sich gerötet.
    »Sie … Sie ha-aben Marquardt umgebracht. Er wu-usste, dass Sie die stra-straf-f-fälligen Jugendlichen …«
    Sie beugte sich noch weiter vor. »Was? Was wusste Marquardt?«
    Ich biss die Kiefer zusammen, damit die Zähne aufhörten zu klappern. Beckstein schob Lippen und Kinn vor und blies die Backen auf. Nach kurzem Nachdenken rief sie Zabel und Juncker wieder herein. Dem einen glühte die Scharte von meinem Gürtel auf der Backe.
    »Hosen runter!«
    Gnade!, dachte ich. Nein. Um die Wahrheit zu sagen, ich dachte gar nichts. In meinem Hirn herrschte Leere, oder vielmehr Entsetzen. Aber auch Entsetzen lag noch zu nahe an der Begrifflichkeit, an Vernunft und Verstand. In dem Keller gab es keine bekannte Welt mehr, nichts mehr, das sich in Sprache fassen ließ.
    Die Zwillinge grinsten wie Heuschrecken.
    Schon wenn meine Mutter zuschlug und mir mit dem wutäugigen Gesicht, der geblähten Nase, den nassen Lippen nahe kam, hatte es bei mir

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