Harte Schule
für neue Kabel, ohne die Geräte abzudecken. Jetzt ist alles verstaubt. Fuhr schaut sich berufsmäßig Schweinereien an. Er leitet die Abteilung für Gewaltkriminalität im Bereich Sittlichkeitsdelikte. Der Prozess gegen die Kinderschänder von Stammheim ist dir ein Begriff, ja?«
»Fuhr scheint nicht mit so viel Erfolg gesegnet zu sein wie du«, bemerkte ich, im Hinterkopf die Frage bewegend, was Richard bewog, Fuhrs Beweismittel zu kopieren.
Inzwischen hatte der Film mit einer Titelei angefangen, wie man sie mit einem Camcorder leicht herstellen konnte. Der Schriftzug »Allein im Bubenzimmer« geisterte über Boy-Group-Plakate und ein gemustertes Sofa. Michael Jackson kreischte: »Who’s bad?« Ein Jeanshin tern kam ins Bild. Eine mit bunten Bändchen geschmückte Bubenhand straffte die Falten. Die Hüfte drehte sich, die Hand ging an den Sack. Jeansfalten sprangen, Knöpfe ploppten, die Hand flutschte, der Schniepel wuchs, die Pickel glühten.
Richard saß, die Eilbogen auf die Knie gestützt, die Hände zwischen den Beinen gefaltet, und schaute hin. Ich beobachtete mich selbst voller Unbehagen. Egal, wie ich mich setzte, irgendwie ging es darum zu ignorieren, dass die Menagerie reagierte.
»Das ist Jöran Fischer aus der 8 b«, sagte ich, »derjenige, der auch im Club in der Wörrishofener Straße den Herrschaften zu Diensten ist.«
Richard nickte, stand auf, wandte sich ab, schob die Hände in die Hosentaschen. »Wie sagte man früher? Selbstbefriedigung fuhrt zu Hirnerweichung.«
Ich versuchte, die Augen vom Geschehen im Bildzentrum wegzukriegen, und konzentrierte mich auf die Randelemente: Teppich, Schrank, Tischecke.
»Dem Buben«, sagte Richard mit langen Zähnen, »macht es anscheinend Spaß. Können wir etwas dagegen einwenden, dass die Kids ihren Spaß haben? Hat den Jungen jemand gezwungen, sich auf diese Weise ein paar Euro zu verdienen?«
Jöran zeigte inzwischen den blanken Hintern. In der Peripherie wackelte kurz ein neues Element hinein.
»Stopp!«
Richard betätigte die Fernbedienung. Das Laufwerk surrte hin und her, bis er endlich den Befehl fürs Standbild gefunden hatte.
»Da schau«, sagte ich, »diese indisch anmutende De cke. Die habe ich in Marquardts Wohnung gesehen. Wenn ich es mir recht überlege, sind die Möbel überhaupt seine. Die Pop-Plakate haben mich zunächst etwas abgelenkt.«
Richard schwieg.
»Die Polizei muss kistenweise CDs aus Marquardts Wohnung abtransportiert haben. Wo sind die? Was ich auch nicht verstehe: Warum trat Marquardt Ermittlungen gegen TVCinema los, wenn er selber solche Kunstprodukte drehte?«
»Ich vermute«, sagte Richard widerwillig, »Marquardt hatte tatsächlich was gegen das Geschäft mit Kindern. Aber er glaubte an die erwachende Sexualität. Wahrscheinlich hätte er uns erklärt, der Paragraph zur Verführung Minderjähriger gehöre abgeschafft, weil er die jugendliche Sexualität behindere. Machen wir uns nichts vor: Eine Vierzehnjährige wäre ja auch schlecht beraten, sich von einem Gleichaltrigen deflorieren zu lassen. Wenn der Bube es nicht von einer Hure gelernt hat, gibt es ein Fiasko. Da wendet sie sich besser an einen älteren Mann. Marquardt war ein Pädophiler, daran besteht kein Zweifel, aber er war wohl einer von den – sagen wir – sanften Pädophilen, denen es um das Wohl der Jugendlichen ging.«
»Der sanfte Missbrauch erhöht nur die Schuldgefühle bei den Opfern.«
»Ich glaube«, Richard blickte angewidert auf Jörans Banane, »der Junge hat Marquardt das Angebot gemacht, und Marquardt drehte, weil er sich der sexuellen Entwicklung seiner Schutzbefohlenen verpflichtet fühlte. Möglich, dass Jöran das Video an TVCinema verkaufen wollte. Das wäre eine Erklärung, warum Marquardt von den Aktivitäten dieser Firma Kenntnis erlangte. Er bekam jedoch den Moralischen, deponierte die CD in der Schule und begann seinen anonymen Feldzug gegen TVCinema.«
»Aber dann … verflucht, dann hängt die Polizei mit drin. Sie haben Marquardts Kunsterzeugnisse verschwinden lassen. Freitagabend habe ich Jörans Namen Christoph mitgeteilt. Doch statt in dieser Richtung zu ermitteln, haben sie lieber Marko verhaftet. Dabei hat der Junge eine Todesangst, dass sie ihn im Bau vergewaltigen.«
Richard schien sich unaussprechlich unwohl zu fühlen, nicht nur in seinem braunen Anzug, sondern auch in seiner Haut. Seine selbstgefällige Männlichkeit zeigte Risse, geriet in die Krise immer dann, wenn er die Existenz von Gewalt nicht mehr
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