Harte Schule
selbstüberhöhenden Rollen, Tagtraum, Unreife.
Haben Sie schon mal Journalisten am Stammtisch erzählen hören und sich gefragt, warum sie das, was sie wissen, nicht schreiben? Da hat der Wirtschaftsminister auf Dienstreise in Polen im trunkenen Kreis die Wacht am Rhein gegrölt, aber der Journalist weiß, er wird niemals wieder zum Reisetross gehören, wenn er das veröffentlicht. Für eine nicht absolut wasserdichte Story bezahlen Sie mit Lebenslänglich einschließlich Querulantenzuschlag in der Lokalredaktion von Bonndorf und führen das Hintergrundgespräch mit dem Karnickelzüchterverein.
Ich pflegte meinen Durchhänger mit Tequila. Sally stöberte mich um Mitternacht auf und brachte mich ins Bett. Ich zog mir die Decke über die Ohren und verharrte so auch den folgenden Tag, egal, wie verzweifelt das Telefon jaulte.
Am Nachmittag bimmelte es erst, dann klapperte der Schlüssel in meiner Tür. Oma Scheible wuselte herein. »So, send Sie krank?« Ihre Äuglein schillerten wie Aalsuppe. Sie eilte treppab, treppauf und brachte Kamillentee, dampfende Brühe und brodelnde Geschichten von harmlosen Unpässlichkeiten, die mit Darmverschlingung und Tod endeten. Ich duschte eine halbe Stunde, schnitt mir die Fußnägel und fuhr zum Auslüften an die winterstarren Bärenseen.
Bei meiner Rückkunft brannte Licht im dritten Stock des Bunkers der Staatsanwaltschaft. Ich schob Richards Akten beiseite und baute ein Reiseschach auf seinem Schreibtisch auf. »Ich will das jetzt lernen.« Ich wählte eine Eröffnung, die den Gegner in drei Zügen matt setzen sollte. Richard ließ meine Dame im Abseits zappeln und beendete das Spiel nach einer Dreiviertelstunde.
»Und wenn ich jetzt gewonnen hätte?«, fragte ich. »Wenn ich dich jedes Mal beim Schach schlagen würde?«
»Dann hätte ich mich nie mit dir eingelassen.«
»Das wollte ich nur hören.«
»Ich weiß. Sally hat mich schon gewarnt.«
»Aber dir gelingt auch nicht alles«, sagte ich. »Das mit TVCinema war ein Rohrkrepierer, und ich habe ein Verfahren wegen Körperverletzung am Hals, wenn Holzer die Anzeige nicht zurückzieht.«
»Ich hatte dich nicht gebeten, dich einzumischen. Ein kleiner Feind, das lerne fein, will durch Geduld ermüdet sein.«
»Spar dir deinen Schiller.«
»Gellert. Übrigens, die Telefonnummer …«
Ich kramte das Zettelchen wieder aus den Tiefen meiner Taschen.
»Genau. Natürlich meldet sich da niemand, wenn du abends anrufst. Ich habe da gestern mal angerufen.«
Gegen so ein Gedächtnis hatte ich ohnehin nie eine Chance gehabt.
»Es handelt sich um einen Gärtnereibetrieb in Cannstatt. Sie liefern Büsche, Bäume, Hecken, Begrünungen.«
Ich stellte mir Marquardts Dachgeschosswohnung vor und Elsäßers Garten. Richard hielt das Zettelchen unter seine Schreibtischlampe und betrachtete die verwitterte Rechnung auf der Rückseite. Er kniff die Augen zusammen und setzte dann die Lesebrille auf. »Sieh an, ein Kassenbon, zwei Jahre alt, soweit ich das sehe. Und er stammt aus dem Videoladen in der Wagenburgstraße, den Steuerfahndung und Sitte kürzlich dichtgemacht ha ben.« Er blickte mich über die Brillenränder an. »Mir scheint, ein nicht unbedeutendes Beweismittel.«
»Niemand hat die Polizei daran gehindert, nach dem Mord an Marquardt in die Lehrerfächer zu schauen«, verteidigte ich mich. »Aber ohne mich gäbe es nicht einmal die CD aus dem namenlosen Schließfach. Ich wünschte ich könnte sie mir anschauen.«
Richard sah durch mich hindurch, richtete den Blick in die Ferne jenseits der Aktenordner und Sammelbände, dorthin, wo übergeordnete Interessen den Kampf mit juristischen Grundsätzen ausfochten. Plötzlich zog er die Schreibtischschublade auf und hielt eine in den Regenbogenfarben irisierende Plastikscheibe in der Hand.
»Wie kommt es, dass du …!«
Er legte den Finger an die Lippen. Wir quietschten durch Linoleumgänge. Die Wirtschaftsabteilung verfügte über einen Medienraum zur Prüfung von Produktpiraterien, und Richard verfügte über einen Schlüssel. Der besenkammerkleine Raum war vollgestopft mit elektronischen Geräten. Am Videorekorder hing ein Zettel mit vielen Ausrufungszeichen: »Bitte keine Privatkopien drinlassen!!!« Richard schob die Scheibe in den Schlitz des DVD-Players und stellte den Fernseher an.
»Das hier ist eine Kopie. Das Original habe ich im DVD-Player gefunden. Ich schätze, Fuhr hat es vergessen. Die Sitte hat zwar auch einen Medienraum, aber dort haben sie Schlitze geklopft
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