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Harte Schule

Harte Schule

Titel: Harte Schule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Artikel schreiben. Leider ist auch unsereiner nicht nur Minister, sondern auch Mensch und Bruder. Und sagen Sie nicht, wir Männer würden nur wieder mal alle zusammenhalten. Mir geht es lediglich um meine kleine Schwester. Ich habe bereits eine schonungslose Aufklärung der Vorgänge in diesem Etablissement in die Wege geleitet. Und was meinen unglückseligen Schwager be trifft, Sie haben mein Wort, dass er nach den Sommerfe rien nicht mehr Schulleiter ist. Und nun lassen Sie mich nicht die ganze Zeit schwätzen.«
    »Nun ja … Es handelt sich hier doch immerhin um …«
    »Frauen, das sage ich immer, sind letztendlich das klügere Geschlecht. Sie sind pragmatischer. Ich will ganz offen sein. Sie könnten einen mordsmäßigen öffentlichen Wirbel machen. Aber wem ist damit gedient? Hier geht’s doch nicht nur um mich oder um ein politisches Amt, sondern um das Vertrauen der Bürger in unsere schulischen Einrichtungen. Schwarze Schafe gibt’s überall. Aber wollen Sie ein Kesseltreiben gegen all die kreuzbraven Lehrer anzetteln? Sie wissen doch, die Medien sind wie die Geier. Gleich vermuten sie sonst was, wenn ein Lehrer einem Schüler nur mal die Hand auf die Schulter legt. Turnunterricht, Schullandheime, Ausflüge, das können wir dann künftig alles knicken.«
    »Schon, aber …«
    »Nun passen Sie mal auf, Frau Nerz. Nicht dass wir uns falsch verstehen. Sie tun, was Sie nicht lassen können. Über die Folgen sind Sie sich im Klaren. Ich kann nur hoffen, dass es für Sie keine bösen Überraschungen gibt.«
    »Das ist ein Argument.«
    »Sehen Sie.« Er raffte seine Mimik erneut in die Hö he. Sein Blick wurde schärfer.
    »Aber so ganz bin ich noch nicht überzeugt«, sagte ich.
    »Da machen Sie mich etwas ratlos. Wir wissen doch beide, dass Vorsicht geboten ist, wenn es mich drängen sollte, Ihre Klugheit angemessen zu würdigen. Sonst heißt es am Ende noch, ich hätte versucht, Sie zu bestechen.« Er beugte sich vor. »Aber warten Sie. Vielleicht fällt mir da noch etwas Besseres ein.« Er gab sich einen Ruck, stand auf, ging zum Schreibtisch und bellte in die Gegensprechanlage, Pflüger solle kommen. »Ich bin zuversichtlich«, sagte er vom Schreibtisch aus, »dass wir zu einer einvernehmlichen Lösung kommen werden.«
    Ich war bereits misstrauisch. Schweißfäden rannen mir aus dem Haar in den Kragen. Ich dachte an ein Taschentuch, stieß aber in meiner Tasche wieder nur auf den Korkenzieher, fand plötzlich, dass eine solche Mordwaf fe, wenn sie durch einen unglücklichen Umstand bei mir gefunden würde, mich allerschnellstens ins Terroristengefängnis von Stammheim bringen würde, und stopfte das Gerät eilig und heimlich in die Falte zwischen Lehnen- und Sitzpolster des Sessels unter meinem Hintern. Keinen Moment zu früh, denn Herr Pflüger war nicht der Referent mit dem Scheck, sondern ein Sicherheitsmann in schwarzer Kluft mit Funkgerät und Pistole.
    »Herr Pflüger«, sagte Bollach aus sicherer Entfernung, »würden Sie bitte eine weibliche Kollegin zur Leibesvisitation herbeirufen. Ich habe leider den Verdacht, dass die junge Dame sich mit unzulässigen elektronischen Mitteln ausgestattet hat.«
    Wir kamen überein, dass man ausnahmsweise davon absehen werde, die Polizei hinzuzuziehen. Nachdem ich eine Erklärung unterzeichnet hatte, die meine Entgleisung und mein Bedauern dokumentierte sowie die Überlassung der Abhörelektronik an den Sicherheitsschutz zur Verwahrung, stakte ich über die Kieswege des Schlossplatzes und war bis in die Unterhose erleichtert, ungeschoren davongekommen zu sein. Das durfte ich wirklich niemandem erzählen.

16
     
    »Der Zweck heiligt die Mittel«, hatte einst mein Geschichtslehrer an die Tafel geschrieben, versehen mit einem dicken Fragezeichen. Das war gegen mich gegangen. Ich hatte einem Eintrag widersprochen, den er einer Mitschülerin verpassen wollte, und den Vorfall dem Rektor gemeldet. Mein Geschichtslehrer fühlte sich verpetzt und stellte eine große Frage. Ich schrie: »Aber im Fall Hitler wäre Mord gerechtfertigt gewesen!«, und war fortan verloren für die historische Bildung. Schon damals hatte es mir ein Lehrer nicht verziehen, dass ich mich in meinen Mitteln vergriff. Doch damals war ich fünfzehn gewesen. Um wie viel weniger durfte man es mir, der Erwachsenen, verzeihen, dass ich eine Volontärin rundmachte, einen Freund betrog und die Entlarvung eines Kinderschänders versiebte. Wie hatte Müller-Elsäßer diagnostiziert? Neigung zu

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