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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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ihren Körper umschlangen.
    Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal einen guten Grund gehabt hatte, morgens nicht aufzustehen. Natürlich war das öfter passiert, als Jeffrey noch am Leben war, aber zum ersten Mal seit viereinhalb Jahren war Jeffrey das Letzte, woran Sara dachte. Sie stellte keine Vergleiche an. Sie wägte die Unterschiede nicht gegeneinander ab. Ihre schlimmste Angst war immer gewesen, dass der Geist ihres Mannes sie ins Schlafzimmer verfolgen würde. Aber das war nicht der Fall gewesen. Da waren nur Will und das absolute Glück, das sie mit ihm empfunden hatte.
    Sara erinnerte sich undeutlich daran, dass ihre Kleidung irgendwo zwischen Küche und Esszimmer verstreut lag. Sie nahm einen schwarzen Seidenmorgenmantel aus dem Schrank und ging den Flur entlang. Die Hunde schauten sie träge von der Couch her an, als sie ins Wohnzimmer kam. Betty schlief auf einem Kissen. Billy und Bob lagen im Halbkreis um sie herum. Will musste schon in einer Stunde bei der Arbeit sein, sonst wäre sie zu ihm in die Dusche gegangen. Gestern hatte sie den Leuten im Krankenhaus noch gesagt, dass sie nach ihrer Tortur keine Auszeit brauche, doch heute Morgen war sie froh, dass sie darauf bestanden hatten. Sie musste verarbeiten, was passiert war. Und sie wollte zu Hause sein, wenn Will zurückkam.
    Ihre Sachen lagen ordentlich zusammengelegt auf der Anrichte. Sara lächelte, weil sie dachte, dass sie jetzt endlich eine gute Verwendung für ihren Esstisch gefunden hatte. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein. An der Wand über den Hundenäpfen klebte ein Post-it-Zettel. Mitten darauf hatte Will ein Smiley gezeichnet. Über den Leinen entdeckte sie einen weiteren Zettel mit demselben Symbol. Ein Mann, der die Hunde fütterte und ausführte, während Sara noch schlief, hatte etwas für sich. Sie starrte die blaue Tinte an, den Halbkreis des Lächelns und die beiden Punkte für die Augen.
    Sara hatte bisher noch nie einem Mann nachgestellt. Bis jetzt war sie immer das Objekt des Interesses gewesen. Aber gestern Nacht hatte sie erkannt, dass nie etwas passieren würde, wenn sie nicht den ersten Schritt machte. Und sie hatte gewollt, dass etwas passierte. Sie hatte Will mehr gewollt als alles, was sie in den letzten Jahren gewollt hatte.
    Anfangs war er zögerlich gewesen. Er war offensichtlich unsicher wegen seines Körpers, was lächerlich war, wenn man sich überlegte, wie schön er war. Seine Beine waren lang und schlank. Seine Schultern waren muskulös. Seine Bauchmuskeln waren die eines Unterwäsche-Models auf einem Riesenplakat mitten am Times Square. Doch es war nicht nur das. Seine Hände wussten genau, wo sie sie berühren mussten. Seine Lippen fühlten sich wunderbar an. Seine Zunge fühlte sich wunderbar an. Alles an ihm war wunderbar. Mit ihm zusammen zu sein, das fühlte sich an, als würde ein Schlüssel in ein Schloss gleiten. Sara hätte sich nie träumen lassen, dass sie sich je wieder einem Mann so vorbehaltlos hingeben könnte.
    Wenn ein Vergleich anzustellen war, dann zwischen der Sara von diesem Morgen und ihrem alten Ich. Etwas in ihr war verändert, und nicht nur ihr moralischer Kompass. Mit Will hatte sie sich anders gefühlt. Sie musste nicht sofort alles über diesen Mann wissen, mit dem sie ihr Bett geteilt hatte. Sie hatte nicht das Bedürfnis, Antworten verlangen zu müssen in Bezug auf den offensichtlichen Missbrauch, den er erlitten hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Sara geduldig. Das Mädchen, das man aus der Sonntagsschule geworfen hatte, weil es mit ihrem Lehrer gestritten hatte, und das ihre Eltern, ihre Schwester und schließlich ihren Ehemann verrückt gemacht hatte mit ihrer unstillbaren Begierde, jedes Detail über alles auf dieser Erde zu verstehen, dieses Mädchen lernte nun, sich zu entspannen.
    Vielleicht hatte die Betrachtung des Polaroids von Wills genähter Lippe sie etwas über Neugierde gelehrt. Vielleicht lag es aber auch in der Natur des Lebens, dass man aus Fehlern lernte. Im Augenblick genügte es Sara, mit Will zusammen zu sein. Der Rest würde mit der Zeit schon kommen. Oder auch nicht. So oder so, sie fühlte sich erstaunlich zufrieden.
    Es klopfte an der Tür, wahrscheinlich war es Abel Conford von gegenüber. Der Anwalt war der selbsternannte Herrscher des Parkplatzes. Jede Eigentümerversammlung, die Sara besucht hatte, war von Abel mit einer Beschwerde über Besucher, die auf den falschen Plätzen parkten, eröffnet worden.
    Sara wickelte den

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