Harter Schnitt
ziehen?«
Will musste erst sein Ego besiegen, bevor er sagen konnte: » Evelyns Freund. Seine Brieftasche fehlt. Er hatte weder Ausweis noch Geld bei sich. Das Einzige in seinen Taschen war der Schlüssel zu Evelyns Malibu. Sie muss ihn ihm gegeben haben.«
» Reden Sie weiter.«
» Sie bereitete ein Mittagessen für zwei vor. Im Toaster waren vier Scheiben Brot. Faith verspätete sich. Evelyn wusste nicht, wann sie nach Hause kommen würde, aber sie nahm sicher an, dass Faith von unterwegs anrufen würde. Im Kofferraum des Malibu waren Lebensmittel. Laut Quittung hatte Evelyn ihre Kreditkarte im Kroger-Supermarkt um zwölf Uhr zwölf benutzt. Der Gentleman brachte ihr die Sachen ins Haus, während sie das Essen vorbereitete.«
Amanda lächelte. » Ich vergesse oft, wie schlau Sie sind, aber dann passiert so etwas wie heute, und ich weiß wieder, warum ich Sie eingestellt habe.«
Will ignorierte das zweischneidige Kompliment. » Evelyn richtet also das Essen her. Irgendwann wundert sie sich, wo ihr Freund bleibt. Sie geht hinaus und findet ihn im Kofferraum. Sie nimmt Emma und versteckt sie im Schuppen. Wenn sie Emma genommen hätte, nachdem sie sich in den Finger geschnitten hatte, wie Dr. Mittal meinte, dann hätte irgendwo auf dem Kindersitz Blut sein müssen. Evelyn ist stark, aber sie ist nicht Herkules. Der Autositz ist, auch ohne Baby darin, ziemlich schwer. Sie hätte ihn nie und nimmer mit einer Hand von der Arbeitsfläche herabheben können, sie hätte ihn von unten her mit der freien Hand stützen müssen. Emma ist noch klein, aber sie hat schon ein erstaunliches Gewicht.«
Amanda ergänzte: » Evelyn hat eine gewisse Zeit in dem Schuppen verbracht. Sie hat die Decken in die Hand genommen. An ihnen ist kein Blut. Sie wählte die Ziffernkombination des Safes. Auf dem Zahlenschloss ist kein Blut. Der Boden ist sauber. Sie blutete erst, nachdem sie die Tür verschlossen hatte.«
» Ich bin kein Experte für Küchenverletzungen, aber normalerweise schneidet man sich nicht in den Ringfinger, wenn man Tomaten zerteilt. Es trifft normalerweise den Daumen oder den Zeigefinger.«
» Noch ein guter Punkt.« Amanda schaute kurz in den Rückspiegel und wechselte die Spur. » Okay, was hat sie als Nächstes getan?«
» Wie Sie gesagt haben. Evelyn versteckt das Baby, holt die Waffe aus dem Safe, geht ins Haus zurück und erschießt Kwon, der ihr in der Wäschekammer auflauert. Dann wird sie von einem zweiten Mann überwältigt, wahrscheinlich von unserem mysteriösen B-negativen. Bei dem Kampf wird Evelyn ihre Waffe aus der Hand geschlagen. Sie sticht auf B-negativ ein, aber da ist noch ein Dritter, Mr. Hawaii-Hemd. Er hebt Evelyns Waffe vom Boden auf und beendet das Handgemenge. Er fragt sie, wo die Sache ist, nach der sie suchen. Sie sagt ihnen, sie sollen sich zum Teufel scheren. Sie wird mit Isolierband auf den Stuhl gefesselt, während sie das Haus durchsuchen.«
» Das klingt plausibel.«
Es klang verwirrend. Da waren so viele Bösewichte, dass Will Schwierigkeiten hatte, sie alle im Auge zu behalten. Zwei Asiaten, ein Hispano, vielleicht auch zwei– vielleicht auch noch ein dritter Mann von unbekannter Abstammung; ein Haus wurde nach weiß Gott was durchsucht, und eine dreiundsechzigjährige Expolizistin mit einer Menge Geheimnisse war plötzlich verschwunden.
Es gab noch eine viel größere Frage, die Will jedoch lieber nicht stellte: Warum hatte Evelyn keine Hilfe gerufen? Nach Wills Einschätzung hatte sie mindestens zwei Gelegenheiten gehabt, zum Hörer zu greifen oder davonzulaufen und Hilfe zu suchen: Als sie das Geräusch zum ersten Mal hörte und später, nachdem sie Hironobu Kwon in der Wäschekammer erschossen hatte. Und doch war sie geblieben.
» Woran denken Sie gerade?«
Will antwortete lieber nicht. » Ich frage mich, wie sie Evelyn aus dem Haus schaffen konnten, ohne von irgendjemandem gesehen zu werden.«
Sie erinnerte ihn: » Sie gehen davon aus, dass Roz Levy aufrichtig und kooperativ ist.«
» Denken Sie, sie hat damit zu tun?«
» Ich denke, sie ist eine gerissene alte Schlampe, die Sie nicht mal anpissen würde, wenn Ihre Haare brennen.«
Will nahm an, dass das Gift in ihrer Stimme von schlechten Erfahrungen herrührte.
Amanda fuhr fort: » Das war keine spontane Tat. Sie war geplant. Die Täter kamen nicht zu Fuß. Irgendwo war ein Auto, vielleicht ein Van. Es gibt da eine krumme, kleine Straße, die in den Little John Trail mündet. Wahrscheinlich sind sie hinten raus
Weitere Kostenlose Bücher