Harter Schnitt
nur Tante Mandy genannt, ein Kosename, von dem Faith ziemlich sicher war, dass es ihr die Kündigung einbringen würde, wenn sie ihn heute benutzte. Dennoch hatte sie Amanda immer als Teil der Familie betrachtet. Und Evelyn stand sie so nahe, dass sie ab und zu als Ersatzmutter durchgegangen war.
Aber sie war auch Faith’ Chefin, und sie stellte ihren Fuß fest auf Faith’ Nacken, so wie sie es bei jedem tat, der für sie arbeitete. Oder in Kontakt mit ihr kam. Oder sie auf der Straße anlächelte.
Faith riss den Energieriegel auf und biss ein großes Stück ab. Das Kauen war das einzige Geräusch in der Küche. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen, aber sie hatte Angst vor den Bildern, die sie sehen würde. Ihre Mutter gefesselt und mit einem Knebel im Mund. Jeremys gerötete Augen. Die Art, wie diese Polizisten sie heute angeschaut hatten, als würde ihnen der Gestank ihrer Verwicklung auf den Magen schlagen.
Zeke räusperte sich. Sie dachte, die Feindseligkeit wäre jetzt überstanden, aber seine Haltung deutete auf das Gegenteil hin. Falls es in ihrem Leben eine Konstante gab, dann Zekes permanentes Gefühl der eigenen moralischen Überlegenheit.
Sie versuchte, es abzuschütteln.
» Dieser Victor schien ziemlich überrascht zu sein, als er von Emma hörte. Wollte wissen, wie alt sie ist, wann sie geboren wurde.«
Ihr wurde die Kehle eng, und sie versuchte zu schlucken. » Victor war hier? Im Haus?«
» Du warst ja nicht da, Faith. Jemand musste bei deinem Sohn bleiben, bis ich kam.«
Die Kette von Flüchen, die Faith in den Sinn kam, war vermutlich schlimmer als alles, was Zeke beim Zusammenflicken von Soldaten in Ramstein gehört hatte.
Er sagte: » Jeremy hat ihm ihr Foto gezeigt.«
Faith versuchte, noch einmal zu schlucken. Sie fühlte sich, als würden sich rostige Nägel in ihrer Kehle verfangen.
» Emma hat seine Hautfarbe.«
» Jeremys?«
» Ist das ein Verhaltensmuster von dir? Bist du gern eine unverheiratete Mutter?«
» Hey, hat man dir noch nicht gesagt, dass Ronald Reagan nicht mehr Präsident ist?«
» Mein Gott, Faith. Sei wenigstens ein Mal ernst. Der Kerl hat das Recht zu wissen, dass er der Vater ist.«
» Glaub mir, Victor hat kein Interesse am Vatersein.« Der Mann konnte nicht einmal seine schmutzigen Socken vom Boden aufheben oder daran denken, den Toilettensitz wieder herunterzuklappen. Nur Gott wusste, was er bei einem Baby alles vergessen würde.
Zeke wiederholte: » Er hat das Recht, es zu wissen.«
» Jetzt weiß er es.«
» Was aus immer, Faith. Solange nur du glücklich bist.«
Jeder normale Mensch wäre gegangen, nachdem er diesen Spruch abgelassen hatte, aber Zeke Mitchell war keiner, der einem Streit aus dem Weg ging. Er saß einfach nur da, starrte sie an und wollte ihn wieder ankurbeln. Faith verlegte sich auf traditionelle Verhaltensmuster. Wenn er sich aufführen wollte wie ein Zehnjähriger, würde sie es auch tun. Sie ignorierte ihn, blätterte im Lands’-End-Katalog und riss die Seite mit der Unterwäsche heraus, die Jeremy bevorzugte, damit sie sie später für ihn bestellen konnte.
Sie blätterte zu den Thermo-Shirts, und Zeke kippte den Stuhl nach hinten und schaute zum Fenster hinaus.
Diese Spannung war zwischen ihnen nichts Neues. Faith’ Egoismus war Zekes Lieblingsmelodie. Wie gewöhnlich akzeptierte sie seine Missbilligung als eine Art Strafe. Er hatte guten Grund, sie zu hassen. Es war nicht einfach für einen Achtzehnjährigen herauszufinden, dass seine vierzehnjährige Schwester schwanger war. Vor allem, als Jeremy älter wurde und Faith sah, wie das Leben für einen Teenager war– nicht das Zuckerschlecken, wie es ihr in diesem Alter vorgekommen war–, hatte sie ein schlechtes Gewissen bekommen wegen dem, was sie ihrem Bruder angetan hatte.
So schwer es für ihren Vater war, dem nahegelegt wurde, nicht mehr zu seinen Bibelstudien zu gehen, und für ihre Mutter, die von so ziemlich jeder Frau in der Nachbarschaft schief angesehen wurde, hatte doch Zeke wegen Faith’ unerwarteter Schwangerschaft eine ganz spezielle Hölle durchlitten. Mindestens ein Mal pro Woche war er mit einer blutenden Nase oder einem blauen Auge von der Schule nach Hause gekommen. Wenn sie ihn danach fragten, weigerte er sich, darüber zu reden. Beim Abendessen warf er Faith höhnische Blicke zu. Der Abscheu stand ihm in den Augen, wenn sie an seinem Zimmer vorbeiging. Er hasste sie für das, was sie ihrer Familie angetan hatte, aber er würde jedem die
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