Harter Schnitt
Hölle heißmachen, der etwas gegen sie sagte.
Wobei sie sich an diese Zeit kaum mehr erinnern konnte. Auch jetzt noch war es nichts als ein langer, elender Nebel des Selbstmitleids. Es war schwer zu glauben, dass sich in zwanzig Jahren so viel verändert hatte, aber Atlanta war damals eher wie eine Kleinstadt gewesen. Die Leute ritten damals noch immer auf der Reagan-Bush-Welle der konservativen Werte. Faith war ein verzogener, selbstsüchtiger Teenager, als es passierte. Ihre Gedanken kreisten immer nur darum, wie elend ihr eigenes Leben war. Ihre Schwangerschaft war das Ergebnis ihres ersten und– wie sie sich zu der Zeit schwor– auch ihres letzten Sexualkontakts. Die Eltern des Kindsvaters hatten den Jungen sofort in einen anderen Staat geschafft. Als sie fünfzehn Jahre alt wurde, gab es keine Geburtstagsparty. Ihre Freunde wandten sich von ihr ab. Jeremys Vater rief nie an und schrieb auch nie. Sie musste zu Ärzten gehen, die in ihr und an ihr herumstocherten. Sie war die ganze Zeit müde und gereizt, und sie hatte Hämorrhoiden und Rückenschmerzen, und bei jeder Bewegung tat ihr alles weh.
Faith’ Vater war viel unterwegs, er musste plötzlich Geschäftsreisen unternehmen, die früher gar nicht zu seinem Job gehört hatten. Die Kirche war der Mittelpunkt seines Lebens gewesen, aber dieser Mittelpunkt wurde ihm abrupt entrissen, als er vom Pastor zu hören bekam, dass er nicht mehr die moralische Autorität hatte, ein Diakon zu sein. Ihre Mutter hatte Urlaub genommen, um bei ihr zu sein– ob gezwungenermaßen oder freiwillig, sagte Evelyn auch heute noch nicht.
Faith erinnerte sich nur noch daran, dass sie und ihre Mutter jeden Tag zu Hause gefangen waren, Junk Food aßen und Seifenopern anschauten, die sie zum Weinen brachten. Evelyn trug Faith’ Schande wie eine Eremitin. Das Haus verließ sie nur, wenn sie unbedingt musste. Jeden Montag stand sie im Morgengrauen auf, um zu einem Supermarkt am anderen Ende der Stadt zu fahren, damit sie nicht jemandem begegnete, den sie kannte. Sie weigerte sich, sich mit Faith in den Garten zu setzen, auch wenn die Klimaanlage ausfiel und das Wohnzimmer zu einem Backofen wurde. Das einzige Training, das sie sich erlaubte, waren Spaziergänge durch die Nachbarschaft, aber nur sehr spät abends oder frühmorgens, wenn die Sonne aufging.
Mrs. Levy von nebenan stellte ihnen Plätzchen auf die Türschwelle, aber sie kam nie ins Haus. Schließlich steckte jemand religiöse Traktate in den Briefkasten, die Evelyn im offenen Kamin verbrannte. Die einzige Besucherin in dieser ganzen Zeit war Amanda, die nicht die Wahl hatte, sich aus dem sozialen Umfeld ihrer De-facto-Schwägerin zu verabschieden. Sie saß dann immer mit Evelyn in der Küche und redete mit leiser Stimme, damit Faith sie nicht verstand. Wenn Amanda wieder gegangen war, setzte Evelyn sich ins Bad und weinte.
Es war deshalb kein Wunder, dass Zeke eines Tages nicht mit einer aufgeplatzten Lippe von der Schule nach Hause kam, sondern mit einer Kopie seiner Dienstverpflichtung. Er hatte noch fünf Monate bis zu seinem Schulabschluss. Sein Reserveoffizierstraining und seine Noten beim College-Eignungstest eröffneten ihm den vollen Zugang zur Rutgers University. Er machte seinen Test zur Allgemeinen Hochschulreife und begann das medizinische Vorstudium ein ganzes Jahr vor der Zeit.
Jeremy war acht Jahre alt, als er seinen Onkel zum ersten Mal sah. Sie hatten einander umkreist wie Katzen, bis ein Basketballspiel die beiden schließlich einander näherbrachte. Doch Faith kannte ihren Sohn und bemerkte seine Zurückhaltung einem Mann gegenüber, von dem er den Eindruck hatte, er würde seine Mutter nicht gut behandeln. Leider hatte er im Lauf der Jahre viele Gelegenheiten gehabt, diesen Eindruck zu untermauern.
Zeke stellte seinen Stuhl wieder gerade hin, schaute sie aber noch immer nicht an.
Faith kaute langsam ihren Energieriegel, sie zwang sich zum Essen, obwohl sich die Übelkeit in ihrem Bauch festgesetzt hatte. Sie schaute zur Glastür hinaus und sah den Küchentisch und Zekes stocksteife Haltung als Spiegelbilder. Hinter der Scheibe war ein rotes Glimmen zu erkennen. Einer der Detectives rauchte.
Das Telefon klingelte, und beide schreckten hoch. Faith sprang auf und griff sich das schnurlose Gerät, als die Detectives aus dem Hinterhof hereinliefen.
» Nichts Neues«, sagte Will. » Wollte mich nur zurückmelden.«
Faith winkte die Beamten weg. Sie ging mit dem Telefon ins Wohnzimmer und fragte Will:
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