Harter Schnitt
öffnete die Faust. Der scharfe Schmerz der Angst verging, und Faith empfand nun nichts anderes mehr als blinde Wut.
Die Nachricht auf Jeremys iPhone. Seine Highschool. Sein Geburtsjahr.
Mund zu und Augen auf.
Ihr Sohn hatte auf diesem Bett gelegen, nur Zentimeter von ihrem Fund entfernt.
Ich bin mir sicher, ihr kriegt die bösen Jungs in die Finger.
Der Satz ergab erst einen Sinn, als Faith den abgetrennten Finger ihrer Mutter in ihrer Hand sah.
6 . Kapitel
F ür Sara Linton war Selbsthass nichts Fremdes. Sie hatte sich geschämt, als ihr Vater sie einen Schokoriegel aus der Snackbox in der Kirche stehlen sah. Sie hatte sich gedemütigt gefühlt, als sie ihren Ehemann beim Seitensprung ertappte. Sie hatte sich schuldig gefühlt, als sie ihrer Schwester vorlog, sie fände ihren Schwager nett. Sie war verlegen geworden, als ihre Mutter sie darauf hinwies, dass sie zu groß sei, um Capri-Hosen zu tragen. Noch nie hatte sie sich allerdings so billig gefühlt, und das Wissen, dass sie nicht besser war als ein Sternchen im Reality-TV, traf sie ins Mark.
Auch jetzt noch, Stunden später, brannte ihr Gesicht, wenn sie an ihre Konfrontation mit Angie Trent dachte. Sie konnte sich an ein einziges, anderes Mal in ihrem Leben erinnern, dass eine Frau so mit ihr gesprochen hatte wie Angie heute. Jeffreys Mutter war eine üble Säuferin, und Sara hatte sie an einem besonders schlimmen Abend erwischt. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Situationen war, dass Angie absolut jedes Recht hatte, sie eine Hure zu nennen.
Isebel, hätte Saras Mutter gesagt.
Wobei Sara ihrer Mutter natürlich nichts von alledem erzählen würde.
Sie stellte den Fernseher leise, das Geräusch ging ihr auf die Nerven. Sie hatte versucht zu lesen. Sie hatte versucht, ihre Wohnung zu putzen. Sie hatte den Hunden die Krallen geschnitten. Sie hatte Geschirr gewaschen und Kleidung zusammengelegt, die so zerknittert war vom tagelangen Herumliegen auf der Couch, dass sie sie bügeln musste, bevor sie in den Schrank passte.
Zweimal war sie zum Aufzug gegangen, um Wills Auto zu seinem Haus zurückzubringen. Zweimal hatte sie wieder kehrtgemacht. Das Problem waren seine Schlüssel. Sie konnte sie nicht im Auto lassen, und auf keinen Fall hatte sie vor, an die Tür zu klopfen und sie Angie zu geben. Sie in den Briefkasten zu werfen, das kam ebenfalls nicht infrage. Wills Viertel war nicht schlecht, aber er lebte in einer riesigen Metropole. Das Auto wäre schon weg, bevor sie zu Hause angekommen wäre.
Also suchte sie sich weitere häusliche Beschäftigungen, und dabei graute es ihr vor Wills Eintreffen wie vor einer Wurzelbehandlung. Was würde sie zu ihm sagen, wenn er irgendwann kam, um sein Auto abzuholen? Worte versagten, obwohl Sara diverse Ansprachen über Ehre und Moral einstudiert hatte. Die Stimme in ihrem Kopf hatte irgendwann den Tonfall eines Baptisten-Predigers angenommen. Das war alles so schäbig. Es war nicht richtig. Sara hatte nicht vor, irgendeine Zweitfrau zu werden. Und sie würde sich auch nicht auf einen Zickenkrieg mit Angie Trent einlassen. Vor allem wollte sie sich nicht in diese unglaublich dysfunktionale Beziehung einmischen.
Was für ein Monster brüstete sich mit der Behauptung, ihr Mann hätte versucht, sich umzubringen? Bei dem Gedanken drehte sich Sara der Magen um. Und was noch viel wichtiger war: Wie tief hatte Will sinken müssen, dass ihm die Rasierklinge als einzige Lösung vorgekommen war? Wie besessen war er von Angie, dass er etwas so Schreckliches tun würde? Und wie krank war Angie, dass sie ihn im Arm hielt, während er es tat?
Die Fragen wurden am besten von einem Psychiater beantwortet. Wills Kindheit war offensichtlich kein Zuckerschlecken gewesen. Allein schon diese Tatsache konnte viel Schaden anrichten. Seine Legasthenie war ein Problem, aber er hatte seine Launen, aber die waren eher liebenswert als unsympathisch. Hatte er seine Selbstmordneigungen überwunden, oder konnte er sie nur gut verstecken? Wenn er über diesen Punkt in seinem Leben hinausgekommen war, warum war er dann noch mit dieser grässlichen Frau zusammen?
Und da Sara beschlossen hatte, dass zwischen ihnen beiden nichts passieren würde, warum vergeudete sie dann weiterhin ihre Zeit damit, über diese Dinge nachzudenken?
Er war nicht einmal ihr Typ. Will war nichts im Vergleich zu Jeffrey. Von der überbordenden Selbstsicherheit ihres Mannes war bei ihm nichts zu erkennen. Trotz seiner Größe war Will kein körperlich
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