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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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sagen könnte, um es für dich einfacher zu machen.«
    » Danke.« Er meinte es aufrichtig. Ehrlichkeit hatte Jeremy schon immer geschätzt.
    Sie zog ihn vom Bett hoch und nahm ihn in die Arme. Seine Schultern waren knochig. Er war schlaksig, noch nicht der Mann, der er einmal sein würde, auch wenn er jeden Tag sein Körpergewicht an Makkaroni und Käse verdrückte.
    Er ließ sie ihn länger als gewöhnlich umarmen. Sie küsste ihn auf den Kopf. » Es wird alles wieder gut.«
    » Das sagt Grandma auch immer.«
    » Und sie hat immer recht.« Faith drückte ihn noch fester.
    » Mom, du erwürgst mich.«
    Widerwillig ließ sie ihn wieder los. » Hol ein paar Decken für Onkel Zeke. Er schläft auf der Couch.«
    Jeremy schlüpfte wieder in seine Schuhe. » War er schon immer so?«
    Faith gab nicht vor, als würde sie ihn nicht verstehen. » Als wir noch klein waren, kam er jedes Mal, wenn er furzen musste, in mein Zimmer gerannt und ließ ihn dort raus.«
    Jeremy fing an zu lachen.
    » Und dann sagte er, wenn ich ihn verrate, stopft er sich mit Bohnen voll und drückt mich aufs Bett und furzt mir ins Gesicht.«
    Jetzt konnte er sich nicht mehr halten. Er krümmte sich, hielt sich den Bauch und wieherte wie ein Pferd. » Hat er das wirklich mal getan?«
    Faith nickte, und daraufhin lachte Jeremy noch heftiger. Sie ließ ihn ihre Erniedrigung eine Weile genießen, dann gab sie ihm einen Klaps auf die Schulter. » Zeit fürs Bett.«
    Er wischte sich die Tränen aus den Augen. » Mann, das muss ich mal mit Horner machen.«
    Horner war sein Zimmergenosse im Studentenheim. Faith bezweifelte, ob irgendjemand diesen zusätzlichen Gestank in ihrer Bude bemerken würde.
    » Hol Zeke auch ein Kissen aus dem Wandschrank.« Sie schob ihn aus dem Zimmer. Noch immer lachend, ging er den Gang entlang. Es war nur ein geringer Preis dafür, dass für einige Augenblicke der Kummer aus dem Gesicht ihres Sohnes verschwunden war.
    Faith zog die Steppdecke vom Bett. Schmutz von Jeremys Schuhen war auf der Bettwäsche verschmiert. Sie war zu müde, um sie zu wechseln. Sie war zu müde, um ihr Nachthemd anzuziehen oder sich auch nur die Zähne zu putzen. Sie streifte die Schuhe ab und legte sich in der GBI -Kluft, die sie am Morgen dieses Tages um fünf Uhr angezogen hatte, ins Bett.
    Das Haus war still. Ihr Körper war so angespannt, dass sie sich vorkam, als würde sie auf einem Brett liegen. Emmas leises Schnarchen drang aus dem Babyfon. Faith starrte zur Decke. Sie hatte vergessen, den Fernseher auszuschalten. Der Actionfilm, den Jeremy angeschaut hatte, schickte Lichtblitze wie ein Stroboskop durchs Zimmer.
    Boyd Spivey war tot. Es war unbegreiflich. Er war ein großer, kräftiger Kerl, fast überlebensgroß, ein Polizist, bei dem man sich einen ruhmreichen Tod vorstellte. Und er war das genaue Gegenteil seines Partners. Chuck Finn war mürrisch, voller düsterer Vorahnungen und mit einer Heidenangst davor, im Dienst erschossen zu werden. Seine Verteidigung beim Prozess war die einzige, die Faith in diesem ganzen Schlamassel als glaubhaft empfunden hatte. Chuck hatte behauptet, er habe nur Befehle befolgt. Für jene, die ihn kannten, klang das durchaus plausibel. Detective Finn war das Paradebeispiel eines Gefolgsmanns, und das war genau der Persönlichkeitstyp, den Männer wie Boyd auszunutzen verstanden.
    Aber Faith wollte im Augenblick nicht über Boyd und Chuck oder sonst einen aus dem Team ihrer Mutter nachdenken. Die Ermittlungen hatten sie sechs Monate ihres Lebens gekostet. Sechs Monate schlafloser Nächte. Sechs Monate des Kopfzerbrechens, ob ihre Mutter einen Herzinfarkt bekommen oder im Gefängnis landen würde– oder beides.
    Faith zwang sich, die Augen zu schließen. Sie wollte an gute Zeiten mit ihrer Mutter denken, sich an Augenblicke der Herzlichkeit erinnern oder die Freude ihrer Gesellschaft heraufbeschwören. Doch stattdessen sah sie den Mann im Schlafzimmer ihrer Mutter, das schwarze Loch mitten in seiner Stirn nach ihrem Schuss auf ihn. Seine Hände schnellten hoch. Er starrte Faith ungläubig an. Sein Mund klappte auf. Sie sah seinen silbernen Zahnschmuck, die kleine Silberkugel, die in seiner Zunge steckte.
    Almeja, hatte er gesagt.
    Geld.
    Faith hörte die Dielen im Gang knarzen. » Jeremy?« Sie stützte sich auf den Ellbogen und schaltete die Nachttischlampe ein.
    Er schaute sie verlegen an. » Tut mir leid, ich weiß, dass du müde bist.«
    » Soll ich Zeke die Decken bringen?«
    » Nein, darum geht’s nicht.«

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