Harter Schnitt
Pause«, sagte er, und sie schluchzte beinahe vor Erleichterung. » Ich habe dich und Zeke schreien hören.«
» Es gibt für alles ein erstes Mal.«
Er kippte das Handy in die andere Richtung.
Sie sagte: » Ich wollte schon immer eines von denen.« Er verstand den Hinweis und steckte das Ding in die Tasche. » Ich weiß, dass du das Telefon läuten hören hast. Es war Will. Er arbeitet zusammen mit Tante Amanda.«
Er starrte in den Fernseher. » Das ist gut.«
Faith fing an, ihm die Turnschuhe aufzuknoten. In seiner typischen Teenagerjungenlogik hatte er gedacht, wenn er die Füße in die Luft streckte, würde kein Schmutz aufs Bett fallen. » Sag mir, was passiert ist, als Zeke ankam.«
» Der Kerl führte sich auf wie ein Arschloch.«
» Sag’s mir so, als wäre ich deine Mutter.«
Im Schein des Fernsehers sah sie ihn erröten. » Victor war bei mir. Ich sagte ihm, er muss nicht bleiben, aber er meinte, er wolle es, und deshalb…«
Faith knotete ihm den anderen Schuh auf. » Du hast ihm ein Foto von Emma gezeigt?«
Er starrte weiter den Fernseher an. Jeremy hatte Victor wirklich gemocht– wahrscheinlich sogar mehr, als Faith es getan hatte, doch das war nur ein Teil des Problems.
Sie sagte: » Das ist schon okay.«
» Zeke war ziemlich beschissen– ich meine unhöflich– zu ihm.«
» Inwiefern?«
» Hat irgendwie die Brust rausgestreckt und ihn herumgeschubst.«
Typisch Zeke. » Aber es ist nichts passiert, oder?«
» Nein, Victor ist nicht der Typ dazu.«
Davon ging Faith ebenfalls aus. Victor Martinez arbeitete in einem Büro, las The Wall Street Journal, trug Maßanzüge und wusch sich sechzehn Mal pro Tag die Hände. Er war ungefähr so leidenschaftlich wie ein Glas lauwarmes Wasser. Es war Faith’ Schicksal, dass sie sich nur in Männer verlieben konnte, die ärmellose T-Shirts trugen und ihrem Bruder ins Gesicht schlugen.
Sie zog Jeremy den Schuh aus und runzelte die Stirn, als sie den Zustand seiner Socke sah. » Die Zehen gehören in die Socke, College-Junge.« Sie nahm sich vor, ihm auch Socken zu besorgen, wenn sie Unterwäsche für ihn bestellte. Auch seine Jeans sahen ziemlich abgerissen aus. So viel zu den dreihundert Dollar, die sie noch auf dem Girokonto hatte. Zum Glück hatte man sie bei voller Bezahlung suspendiert. Faith würde ihre Ersparnisse anknabbern müssen, wollte sie ihren Sohn nicht herumlaufen lassen wie einen Penner.
Jeremy drehte sich auf den Rücken und schaute sie an. » Ich habe Victor das Foto von Ostern gezeigt.«
Sie schluckte. Victor war sehr intelligent, aber man musste kein Genie sein, um nachzurechnen. Und abgesehen davon war Faith blond und hellhäutig. Emma hatte die dunkle Hautfarbe und die dunkelbraunen Augen ihres Vaters. » Das, auf dem sie die Häschenohren trägt?«
Er nickte.
» Das ist ein gutes Bild.« Faith merkte ihm deutlich an, dass er ein schlechtes Gewissen bekam. » Das ist schon okay, Jay. Er hätte es sowieso irgendwann herausgefunden.«
» Warum hast du es ihm dann nicht gesagt?«
Weil Faith genau die richtige Mischung aus emotional angeschlagen und kontrollbesessen war, was Jeremy allerdings erst herausfinden würde, wenn seine zukünftige Frau es ihm ins Gesicht schrie. Im Augenblick sagte Faith nur: » Darüber werde ich mit dir nicht reden.«
Er setzte sich auf. » Grandma mag Will.«
Faith vermutete, dass er ihren Wortwechsel mit Zeke mitgehört hatte. » Das hat sie dir gesagt?«
Er nickte. » Sie meinte, er ist okay. Dass er sie fair behandelt hat und dass er eine schwere Aufgabe hatte, aber trotzdem nicht gemein geworden ist.«
Faith wusste nicht, ob ihre Mutter Jeremy nur hatte beruhigen wollen oder ob sie ihm ihre ehrliche Meinung gesagt hatte. Wie sie ihre Mutter kannte, war es wahrscheinlich eine Mischung aus beidem. » Hat sie je mit dir darüber geredet, warum sie in Pension gegangen ist?«
Er zupfte an einem losen Faden in der Tagesdecke. » Sie meinte, sie ist die Chefin gewesen, und deshalb war es ihr Fehler, dass sie nicht merkte, was ablief.«
Das war mehr, als sie zu Faith je gesagt hatte. » Sonst noch was?«
Er schüttelte den Kopf. » Ich bin froh, dass Tante Amanda Will hat, der ihr hilft. Sie kann nicht alles selbst machen. Und er ist wirklich schlau.«
Faith fasste seine Hand und hielt sie fest, bis er sie anschaute. Das einzige Licht im Zimmer stammte vom Fernseher und ließ sein Gesicht grünlich wirken. » Ich weiß, dass du dir Sorgen machst um Grandma, und ich weiß nicht, was ich dir
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