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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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nächtelangen indianischen Festen und Zeremonien, bei Besuchen im Mandandorf Mih-Tutta-Hangkusch und in Winterdörfern anderer Stämme. Oder wenn seine indianischen Freunde ihn in der Blockhütte besuchten, die man ihm provisorisch im Fort errichtet hatte und in der er mit seinen Gefährten hauste, alle in einem Raum. Die bittere Kälte, die durch die Ritzen drang, trieb sie ans Feuer, wo sie vorn halb verbrannten und hinten vereisten. Seinem Zeichner gefroren die Farben, dem Prinzen selbst die Tinte, und als sein Koch eines Tages zum Fluß ging, um Wasser zu holen, kam er mit erfrorenen Ohren zur Hütte zurück.
    Wied beschönigte nichts. Er beschrieb die Grausamkeit, mit der die Indianer ihre eigenen Frauen behandelten, was manche in den Selbstmord trieb, oder die gefühllose Härte gegen ihre Lasttiere, die Hunde. Er schilderte das zudringliche Benehmen und die Diebeslust indianischer Besucher, die Faulheit der Männer, wenn sie ihren liebsten Beschäftigungen, der Jagd und dem Krieg, gerade nicht nachgingen. Das alles hinderte ihn aber nicht, das Edle und Schöne zu erkennen, wo es sich zeigte.
    Andere Reiseschriftsteller seiner Zeit behaupteten die geistige Unterlegenheit der Indianer gegenüber den Weißen. Wied focht das nicht an: «Wenn der Mensch nicht in allen seinen Varietäten vom Schöpfer gleich vollkommene Fähigkeiten erhielt, so bin ich doch wenigstens überzeugt, daß die Indianer in dieser Hinsicht den Weißen nicht nachstehen.» Manche unter denMandan fand er sehr begierig, etwas Neues über «höhere Gegenstände» zu lernen, andererseits hingen sie sehr an den Vorurteilen ihrer Vorväter. «Die schlechten Beispiele, welche sie so oft von den in ihrem Land lebenden und nach Geldgewinn umherstreifenden Weißen beobachten, sind eben nicht geeignet, ihnen viel Achtung für unsere Rasse einzuflößen und ihre Moral zu verbessern, und wenn sie der christlichen Religion nicht geneigt gefunden werden, so ist dies zum Teil gewiß Folge der schlechten Beispiele, welche sie von den Weißen sehen, die sich Christen nennen und häufig unmoralischer sind als die rohesten Indianer.»
    Was nun jenen Häuptlingssohn angeht, mit dem der deutsche Reisende Freundschaft schloß – kann, wer je mit glühenden Wangen die Abenteuer der Blutsbrüder Old Shatterhand und Winnetou las, Wieds Bericht folgen, ohne an diese frühe Lektüre und ihre Helden erinnert zu werden? «Sih-chi-dä, ein großer, starker junger Mann, der Sohn des berühmten, jetzt verstorbenen Chefs Tóhp-ka-sing-kä (die vier Männer), war ein zuverlässiger Indianer, von sehr gutem Charakter, der einer unserer besten Freunde wurde und uns beinahe alle Tage besuchte. Er hatte vollkommen anständige Manieren und mehr feines Gefühl als die meisten übrigen seiner Landsleute. Nie wurde er durch Bitten lästig, sobald das Essen aufgetragen wurde, entfernte er sich, um nicht unbescheiden zu sein, obgleich er nicht wohlhabend war und nicht einmal ein Pferd besaß.»
    Was immer Karl May daraus machte oder auch nicht – am Beginn der indianischen Faszination standen Realien, lebende Personen und Ereignisse, stand eine wirklicheFreundschaft. Und ein wacher Sinn für Phänomene. Das ehrfürchtige Staunen über manche Reden von Indianerhäuptlingen, das die Jugend der weißen Welt erst sehr viel später ergriff – Reden, in denen diese Häuptlinge das Los ihres Volkes nicht nur beklagen, sondern es zu begreifen versuchen, um an der Unbegreiflichkeit des eigenen Untergangs so überaus poetisch zu scheitern, in großen Bildern und einer prophetischen Sprache – dieses in der Tat erstaunliche Phänomen bemerkte Wied schon 1833. «In allen Werken, welche über diese merkwürdigen Völker handeln», schrieb er, «findet man die zum Teil sehr kräftigen und wohldurchdachten Reden ihrer Anführer aufgezeichnet. Sie reden häufig in passenden Bildern und sagten ihren weißen Unterdrückern oft bittere Wahrheiten.» Er führte es auf Eigenschaften zurück, die er an den Mandan und anderen Stämmen beobachtet hatte. «Energie des Charakters ist bei diesen Menschen häufig in hohem Grad zu finden.» Wied fiel das ausgeprägte Ehrgefühl auf, und er bewunderte das starke Gedächtnis der Indianer. «Viele von ihnen erzählen die ganze Geschichte ihres Volkes in ununterbrochener Folge.»
    Die Geschichten verschwanden wie die Völker selbst, die sie weiter und weiter erzählt hatten durch die Jahrhunderte, rascher noch als der Bison. Manche Stämme verschwanden bald,

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