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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Bergketten, aber das täuschte, wie mir meine Karte versicherte.
    Die Sonne führte ihr Abendschauspiel auf. Wolken filterten einzelne Höhen, Hänge und Niederungen heraus und stellten andere in den Schatten. Ein Altarberg erstrahlte im Licht, unscheinbare Wasserlöcher wurden zu Silberseen, öde Hänge zu goldbraunen Matten. Und es hörte nicht auf, es ging immer so weiter. Keine Folge wechselnder Landschaften, zu Bildern gerahmt von Bergen oder von einer Flußbiegung wie in Europa, denen dann, als beträte man einen neuen Museumssaal, andere Bilder folgten. Dieses Amerika ist keine Landschaft, es ist Land, Land, Land. Licht und Land. Keine Ausstellung, nur ein einziges maßloses, sich gegen unendlich reproduzierendes Bild. Ich fuhr in eine Senke und dachte, einmal muß es doch enden, aber auf dem nächsten Kamm ging es weiter, immer fort und fort.
    Im weißen Dakota hatte ab und zu ein Fasan an der Straße gestanden, als warte er auf eine Mitfahrgelegenheit. Jetzt, im roten Dakota, im Reservat, lagen sie tot an der Piste, ein Fasan nach dem anderen. Bei einem hielt ich an. Auf der Seite lag er, die grauen Füße langgestreckt, seinen Bauchflaum bauschte der Wind auf, die lange Schweiffeder stach kühn in die Luft, seine Flügel waren leicht angehoben, als sei der Tod nur Verstellung und als fliege er gleich auf. Ich meinte einen leisen Ton zu hören und beugte mich herunter, aber die dunkle Stelle im Auge blieb dunkel. Der Fasan war tot.
    Als das Licht schwand und das Land den Nachtschleier nahm, blieb ein einziges Phänomen deutlich und scharf, es leuchtete jetzt erst richtig auf – die Schwärze der Straße. Die Straße war das, was die Weißen dem Land gegeben hatten, und das Land hatte sie angenommen, als habe es sie erwartet. Sie paßte zu ihm, sie war wie das meeresgleich rollende Land. Fahr, fahr, nur zu, es gibt keine Kurven. Kurven sind etwas für Schöngeister, für die empfindsamen Landschaftsbetrachter der Alten Welt. Fahr! Weiter, weiter. Diese Straße endet nicht, du bist unsterblich, solange du sie fährst.
    In einem Motel in Mobridge blieb ich hängen, hier traf ich wieder auf den Missouri. Er hatte sich verändert, aber nicht in seinem Wesen. Mächtiger war er in seinem Lauf nach Süden geworden, kein grauer Fluß mehr im grauen Land – ein silbergleißender Strom. Ich verbrachte den Abend in einem Diner an der Straße und hörte der Musik zu, die abwechselnd aus dem Radio und aus der Box kam. Sie handelte von der Straße. Jemand kommt, jemand geht, jemand geht mit, jemandwartet. «No matter what you’ve done, I’ll stand by you», sang eine Frau. Eines Tages kam ein Auto gefahren, eines Tages kam er geritten, eines Tages ging er die Straße hinunter und kam nicht wieder. So waren alle Lieder an diesem Abend.
    Der Morgen war weiß vom Nachtfrost, die Lieder blieben die gleichen. Am Nebentisch saß nun eine zarte, ältere Dame. Sie zählte ihrer Freundin, einer robusten Latina, die Namen der Schlachten auf, in die ihr Sohn gezogen war. Desert Storm. Desert Freedom. Die dritte Wüstenmission schluckte das Geräusch eines vorbeifahrenden Trucks. Sie trug einen leuchtend blauen Pullover, eine leuchtend blaue Hose und goldene Ohrringe, und sie war perfekt frisiert. «Ich möchte, daß er wiederkommt, aber er will es nicht. Er ist fort.» Sie hatte es zu ihrer Freundin gesagt, aber die antwortete nicht. Jemand kommt, jemand geht, jemand geht mit, jemand wartet. Nur eine neue Zeile im alten Lied.
    Mein letzter Tag am Missouri war sehr kalt, sehr blau, sehr still. Vom hohen Westufer aus hatte ich einen weiten Blick nach Osten. Nur der helle Schrei der Wildgänse über dem Fluß drang herauf. Hier oben hat man Sitting Bull ein Denkmal gesetzt, und wie die meisten gutgemeinten Werke ist es nicht schön. Eine klobige Sandsteinbüste auf einem Sockel aus rotem Granit. Bemerkenswert, daß der berühmte Krieger über den Missouri nach Osten schaut. In einem Land, in dem lange alles nach Westen schaute, nach vorn, wirft er einen Blick in die Himmelsrichtung, aus der die Eroberer kamen, auf das Verlorene, auf seinen eigenen Ursprung. Dort drüben am Ostufer des Missouri wurde er 1831geboren und 1890 in Gefangenschaft erschossen. Sein Leichnam verschwand spurlos, nur wenige Eingeweihte kannten sein Grab.
    Tief im Reservat, in der Gegend von Wakpala, hielt ich an einem Indianerfriedhof. Gräber, ins hohe Präriegras gestreut, manche mit Kreuzen geschmückt, manche mit indianischen Zeichen, hohen, dünnen

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