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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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sprach: ‹Dies soll das Herz, der Mittelpunkt der Welt sein. Und dieser Fluß soll der Herzfluß heißen.›»
    Ihm folgte ich seit einer Weile zu Fuß. Es taute, die Sonne gewann an Kraft, ich watete halb im Schnee, halb im Morast und kam nur langsam voran. Dämme und andere Hindernisse waren zu überwinden, um die Mündung des Heart River zu erreichen. Als ich endlich am Missouri stand, wartete jene Enttäuschung auf mich, die stets den erwartet, der es nicht lassen kann, Wesen aus der Literatur draußen in der Wirklichkeit nachzustellen. Das Wasser fahl, die Ufer kahl, so strömte der Mythos dahin, ein grauer Fluß im flachen Land. Ich bereute die kleine Wanderung, kehrte um und entfloh in Wieds Bericht.
    Überwintert hatte er flußaufwärts, in Fort Clark. Er nutzte die Gelegenheit, um die Sprachen, religiösen Ideen und die Lebensweise der Indianer zu studieren. Daß er nicht der erste war, der hier reiste und forschte, war ihm bewußt, er kannte die Literatur der Pioniere vor ihm. Auch mit der folgenreichsten dieser frühen Reisen war er vertraut, mit der der beiden amerikanischen Offiziere Meriwether Lewis und William Clark. Letzteren suchte Wied in St.   Louis am Beginn seiner Reise auf. Bei Clark, inzwischen General und Inspektor für Indianische Angelegenheiten, also Chef aller Indianeragenturen,mußte Wied einen Paß beantragen, der ihm erlaubte, den Missouri hinaufzureisen. Clark war es, der dem Prinzen «höchst zuvorkommend» die ersten nordamerikanischen Indianer vorstellte, deren er ansichtig wurde, einige von ihnen waren Gefangene des Generals.
    Clark war ein berühmter Mann. Präsident Thomas Jefferson hatte ihn und Meriwether Lewis 1804 beauftragt, den noch unbekannten amerikanischen Nordwesten zu erforschen und namentlich einen Wasserweg zum Pazifik zu suchen. Im Herbst 1804 fuhren sie in ihrem Kielboot den Missouri hinauf, mit rund dreißig Soldaten, den Winter verbrachten sie, wie später Wied und seine Gefährten, in der Gegend der heutigen Stadt Bismarck. Lewis und Clark, den beiden würde ich noch oft begegnen auf meinem Weg durch Dakota. Wo sie gewesen waren, hatte man ihnen Gedenktafeln, Stelen, kleine Museen errichtet; bis in die Gegenwart wurden sie als Begründer eines Amerikas verehrt, das vom Atlantik bis zum Pazifik reicht.
    Was Wied als Jäger und Forscher tat, glich der Unternehmung der beiden Amerikaner nur auf den ersten Blick. Die Reisen von 1804 und von 1833 unterschieden sich stark. Hier zwei Offiziere an der Spitze eines Expeditionskorps, ausgesandt vom Präsidenten ihres expandierenden Staates mit dem Auftrag, einen Wasserweg zum Pazifik zu suchen, Ansprüche auf die freien Territorien des Nordwestens anzumelden und die Indianerstämme für den jungen Staat zu gewinnen. Lewis und Clark kamen in politischer Mission. Sitzungen mit Häuptlingen waren ihr Geschäft, sie hielten Redenund verteilten blinkende Medaillen des Weißen Vaters in Washington.
    Und nun Wied, unterwegs in niemandes Auftrag, in keiner Mission, ein Forscher auf eigene Rechnung und Gefahr. Die Gewinne, die er sich erhoffte, waren von geistiger Art. Zeichnungen und Aufzeichnungen, dazu Felle und indianische Artefakte. Und zwei lebende Bären. Es gelang ihm, enormen Schwierigkeiten zum Trotz, sie quer durch Amerika und über den Ozean heimzubringen – man ist versucht zu sagen, heim in die Villa Shatterhand, zu Silberbüchse und Henrystutzen. Denn noch etwas brachte der Prinz zu Wied von seiner Reise in das innere Nordamerika mit – das ideelle Stiftungskapital der seltsamen, treuen, allen Zeiten und Ideologien trotzenden deutschen Liebe zu den Indianern.
    Die Vermutung, Karl May habe Wied gelesen, sei es im Original oder in den Schriften anderer Autoren, die ihrerseits bei Wied abgeschrieben hatten, und seinen deutschen Westmann Old Shatterhand dem Prinzen nachgebildet, hin oder her – Wieds Bericht bietet den Rohstoff für eine solche Schöpfung, wenn er edle Indianer schildert, denen er in jenem Winterquartier begegnete und mit denen er sich anfreundete. Besonders ein Häuptlingssohn gefiel ihm. Mit ihm schloß der deutsche Prinz eine offenbar ebenbürtige Freundschaft.
    Wied war kein sentimentaler Reisender, auch kein berechnender. Die Indianer romantisch zu verklären oder sie den Deutschen vorzuhalten wie einst Tacitus den Römern die Germanen, dergleichen lag ihm fern. Der lange Winter in Fort Clark gab ihm Gelegenheit, siekennenzulernen, bei gemeinsamen Jagdzügen in der verschneiten Prärie, bei

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