Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
Vom Netzwerk:
dritte sang dazu, andere summten versonnen mit. «You are my sunshine, my only sunshine, you make me happy, when skies are grey.» Die hohen, brüchigen Stimmen folgten mir die Treppe hinauf. Dann lag ich auf dem Bett, und in das Harmoniumspiel und den Gesang von der immer ferneren Lobby her fräste sich das rhythmische Quietschender hängenden Ampeln vor meinem Fenster. Es erinnerte mich an das Wimmern eines Windrades in einem Italowestern, langsam erstarben Spiel und Gesang, das Windrad und die Ampeln hypnotisierten mich, und ich fiel in einen traumlosen Schlaf.
    Was war es mit Beatrice, daß ich hier hängenblieb? Vielleicht solche Momente. Vielleicht die geisterhafte Stimmung eines als Altersheim überlebenden Grand Hotels, dessen Gründer auch ein Verrückter gewesen war, ein Opernnarr, der sich in den Kopf gesetzt hatte, in diesem unbedeutenden Städtchen irgendwo im Wilden Westen ein Hotel der Extraklasse zu eröffnen, mit elektrischem Licht und Gaslicht, Bädern mit heißem und kaltem Wasser, einer eleganten Lobby und einem Dining Room samt riesigem Kamin. Und das Beste kam noch – das dazugehörige Opernhaus im Westflügel für siebenhundertfünfzig Zuschauer.
    Auf der Bank vor dem «Grand Hotel» saß ein Mann, jeden Tag saß er da in der überhellen Aprilsonne, alt und beleibt, wie er war, auf seinen Stock gestützt, und schaute dem Leben zu, wie es an ihm vorbeidonnerte über die Kreuzung, all die Trucks, all die Autos und Farmer-Pickups. Ich nickte ihm zu, setzte mich neben ihn, und nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, sagte ich:
    «Sind Sie von hier?»
    «Nein, nur zu Besuch.»
    Das stimmte nicht, er wohnte im Altersheim, ich hatte ihn schon drinnen gesehen, er mich vielleicht ebenso, aber er tat, als sei es anders, und ich tat auch so.
    «Es gab hier einen Mordfall, nicht?»
    «Hab davon gehört, ja. Sechs Männer haben zwanzig Jahre dafür gesessen. Nun zahlt ihnen die Regierung einen Haufen Geld, weil sie’s nicht waren. Sie haben jetzt diesen DN A-Test , damals gab es den nicht.»
    Ich hatte den Eindruck, daß er das Thema für erschöpft hielt, und wollte ihm nicht mit Überlegungen über Laienjurys auf die Nerven gehen und darüber, welche Gefahr sie für Leib und Leben darstellten. Nach und nach erfuhr ich immer mehr kleine Geheimnisse der kleinen Stadt. «Nehmen Sie nur das Haus da drüben, ja, das mit den heruntergelassenen Jalousien.» Man übersah es glatt als ahnungsloser Fremder, so staubig und unscheinbar stand es an der Kreuzung, schließlich betrat es so gut wie nie jemand. «Es ist die Geschäftszentrale zweier Multimillionäre mit Großgrundbesitz in aller Welt.» Und die ebenso staubige Bankfiliale daneben, dieser, falls das möglich war, noch belanglosere Bau mit dem seltsam unmotivierten Betongitter davor, es war die Schöpfung eines Architektengottes. «Frank Lloyd Wright», sagte mein Banknachbar und nickte hinüber.
    «Und der Mord?» fragte ich.
    Sein Kopfnicken galt nun dem backsteinroten Apartmenthaus gleich neben dem Kunstwerk.
    «Das dort?»
    «Hmm.»
    Ich wurde dem Alten auf der Bank immer ähnlicher. Wie er saß ich hier. Wohnte im Hotel, das keines mehr war. Gehörte nicht recht dazu und wollte es auch nicht, ganz wie er. Oder ich ging hinein in die Lobby und schaute hinaus wie die anderen Alten – auf die Trucksan der Ampel, auf die Leute, die vorübergingen. Viele im «Grand Hotel» waren Farmer gewesen, nun stand eine Glasfront zwischen dem Rest ihres Lebens, den sie hier zubrachten, und der Welt, der sie angehört hatten und die jetzt ohne sie weiterlief jenseits der Glasscheibe, einfach weiter. Sie kamen mir vor wie Fische in einem Aquarium, nur daß nicht sie von dort draußen betrachtet wurden, sondern ihrerseits die Welt außerhalb des Aquariums betrachteten. Sie schauten, wer da kam und ging auf der Main Street, und tauschten Bemerkungen aus. «Aha, da kommt Mr.   Jones, er hat die Maisernte eingebracht.» – «Da geht Mr.   Schmidt, er hat einen neuen Traktor gekauft.» – «Dieses Jahr ist der Frühling spät dran, der Winter war hart, weißt du noch, jener Winter damals, als der Hund von Mrs.   Appleridge erfror?» Dann gingen sie zu einem der Tische in der Lobby und spielten Karten. Und die Damen legten eine Patience.
    Die Träumer
    Der Tag auf der Straße hatte lau begonnen, aber jetzt errichtete die Sonne ihr Mittagsreich, die morgendlichen Wolkenschleier waren verdampft. Ein Schwarm Wanderdrosseln hatte eine kahle Eiche besetzt, reglos

Weitere Kostenlose Bücher