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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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amerikanischer Farmer auf fünfundsechzig Hektar oder sechshundertfünfzigtausend Quadratmetern eigenem Grund und Boden.
    Im Grill von Blue Rapids lief der Fernseher. Meinen Kaffee schlürfend, vor mir den Burger, sah ich Bilder von der Spur des Tornados, der gerade in Kansas City gewütet hatte. Am Ende des Tages, im «Country Inn» von Waterville, setzte sich die Bedienung zu mir, eine Frau mit dunklen Augen und spanischen Gesten, und erzählte mir eine weitere deutsche Geschichte, auch ihre Großeltern waren eingewandert, «Kaiser Wilhelm» rief sie und lachte und versuchte zugleich, eine ernste Miene zu ziehen. Kaiser Wilhelm war alles, was sie auf Deutsch sagen konnte. Ein Mann kam herein, ein langer Kerl mittleren Alters, hellblaues Hemd, hellblaue Hose und das Gesicht eines Menschen, der nicht ganz hier ist, nicht so, wie die anderen.
    «Take care, Dave», sagten die Männer zu ihm, wenn sie an seinem Tisch vorbeikamen, und es klang, als sei dieser sonst leichthin gesagte Gruß diesmal ernster gemeint. Paß auf dich auf, Dave, sieh dich vor. Dave sah aus dem Fenster und sagte: «What a beautiful sunset.» Ein Mobiltelefon läutete, und es zeigte sich, daß Dave Geräusche seiner Umgebung hellwach aufnahm. Er tat so, als habe es bei ihm geklingelt, legte die leere Handmuschel ans Ohr, rief «Hello, who’s there? I’m here!» und lachte. Im Fenster dicht neben ihm blinkten vier rote Buchstaben. O – P – E – N.   Sein Blick fiel auf das schwarze Notizbuch neben meinem Kaffeebecher. Er sah hoch. «Journal or law?»
    Eine schwierige Frage. Die Schwierigkeit begann schon damit, sich für eine bestimmte Bedeutung der beiden Wörter zu entscheiden. Führst du Tagebuch, oder bist du von der Polizei? Liest du Magazine oder Gesetzesbücher? Oder hatte Dave metaphysische Dinge im Sinn, das Gesetz des bestirnten Himmels über uns, das Logbuch unserer Fahrt hienieden? Was meinte er, was wollte er wissen? Gar nichts. Er steckte sich eine Zigarette an, er erwartete keine Antwort. Er sprang zum nächsten Gedanken, zu einer Pointe, die allein er verstand. «Weißt du, was der Unterschied ist zwischen einem
journal
und einem
law
?» Wieder gab es keine Antwort, wieder hatte er eine. «Das eine ist steuerlich absetzbar, das andere nicht. Denk mal drüber nach.»
    Seltsame Augen. Angegrautes dunkles Haar, fahle Haut hinter Schleiern aus grauem Zigarettenrauch. Aber vor allem die Augen. Müde und fernsichtig. Ein höflicher Mann war Dave. «Have a good night, Sir», sagte er, als ich ging, und wies mich so darauf hin, daß ich dabei war, eine Sprachgrenze zu überschreiten – das egalitäre «Du» des Nordens verlor sich, von nun an redete man sich mit «Sir» und «Madam» an, den Formen des höflichen alten Südens. Nachtblau wölbte sich der Abend über Waterville, ein großer Stern stand im Westen, begleitet von einem kleineren, ein anderer großer Stern stand im Süden. Über dem «Country Inn» zog eine schwarze Wolke auf, sie hatte die Form eines Adlerflügels. Ich beobachtete sie, als ich hinüber zu dem Haus ging, in dem ich ein Zimmer gefunden hatte, ich wurde das Gefühl nicht los, Dave hätte etwas mit ihr zu tun. So endete der Karsamstag.
    Es war der Tag, an dem ich möglicherweise etwas Gutes getan hatte. Zwei hübschen, aber auf der Route 77 ziemlich verlorenen Schildkröten hatte ich über die Straße geholfen und, wer weiß, ihnen das Leben gerettet. In der Gegend, wo der alte Oregon und California Trail die Straße unsichtbar kreuzte, nur ein Gedenkstein wies darauf hin, sah ich erst die eine Schildkröte, sie war im Begriff, aus der Prärie rechts der Straße in jene links der Straße zu wandern. Handgroß unter dem schwarzgrünen Panzer, den grünlichen Kopf herausgestreckt, klapperte sie ungeschickt über den Asphalt. Ich nahm sie hoch und trug sie hinüber, erst, als ich sie ins Gras gesetzt hatte, entdeckte ich ihre Gefährtin, gepanzert hockte sie da und mißtraute dem Lauf der Dinge, ich nahm auch sie hoch und trug sie hinüber.
     
    Am Ostermorgen saß ich auf der Veranda des viktorianischen Holzhauses, in dem ich die Nacht verbracht hatte, putzte meine Stiefel und wartete auf Marc. Meine Wirtsleute hatten mir vorgeschlagen, ihn zu treffen. Marc sei der gute Geist von Waterville, er wisse alles über die kleine Stadt am Zusammenfluß von Little Blue River und Big Blue River, und ich hatte nichts dagegen gehabt. Ich kam mir etwas frivol vor, niemand außer mir saß draußen, nicht nur an diesem

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