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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Morgen. Die meisten Häuser von Waterville besaßen eine säulengestützte Veranda, eine
porch
, aber nie sah ich dort jemanden sitzen, schaukeln oder sonst müßiggehen, dabei waren die Tage warm und die Abende lau. Es verhielt sich wohl einfach so, daß alle immer etwas zu tun hatten, und wenn sie wirklich einmal nichts zu tun hatten, schafften sie sichetwas zu tun, und wer überhaupt nichts zu tun fand, der stellte diesen Umstand wenigstens nicht auf seiner Veranda zur Schau.
    Waterville, das war die alte Geschichte. Unter anderem Namen gegründet, ein paar Meilen weiter östlich, hatte die kleine Frontstadt sich aufgemacht und war gewandert – dorthin, wo die Union Pacific ihr eisernes Band hinlegte, um ein Bahnhof und reich zu werden. Und weil der Bahnboß aus einem Ort namens Waterville im Staate New York stammte, taufte er die Stadt kurzerhand um. Westlich von ihr lag nichts als wilde Prärie, dehnten sich
rolling hills
, das «rollende» Hügelland der Prärie, bis an den Rand der fernen Rocky Mountains. Noch stockten die Gleise in Waterville, noch zogen Indianer und Büffel durch die Prärie, aber nicht mehr lange. Die demobilisierten Soldaten des Bürgerkriegs hungerten nach Land, sie nahmen es sich in der Prärie, und Waterville verkaufte ihnen, was sie dazu brauchten. Es war die Geschichte von Omaha und all den anderen Grenzstädten.
    Gestern abend war ich herumgelaufen. Am Gemeindehaus hatte ich das Motto der kleinen Stadt entdeckt, den zum Motto gehärteten Ausspruch einer Pionierin aus Waterville: «I’ll quit talkin’ and get me some work.» Genug geredet, ich hab jetzt zu tun – so war es wohl gemeint. Ein paar Minuten später sah ich in Sarah’s Corner Store einen Jungen, sehr dünn, sehr blond, auf seinem T-Shirt stand: «You keep talking, I’ll be the winner.» Du quatschst und quatschst, und ich mach das Rennen. Der alten Dame nahm ich es ab, dem anämischen Jungen nicht. Watervilles Pioniertage lagen langezurück, das Städtchen hatte etwas viel zu Stilles, geradezu Verträumtes.
    Jetzt rollte, mehr als pünktlich, ein roter Pontiac heran, ein älteres Modell, ein filigraner Herr steuerte ihn, es konnte nur Marc sein. Er winkte und bedeutete mir einzusteigen, und ich dachte, es sei das beste, es einfach zu tun, denn Marc war der
drifter
von Waterville, und ich driftete ein bißchen mit. Seit fünfundachtzig Jahren lebe er hier, sagte er und fuhr sachte an, bald werde er zweiundneunzig sein. «Zwanzig Häuser habe ich hier gebaut.» Einige zeigte er mir, während er gemächlich die Straßen abfuhr, viele waren es nicht, jede Kreuzung gewährte freien Blick auf das eine oder andere Ende der kleinen Stadt. Ein paar Steinhäuser der ersten Stunde, um sie herum stille, rechtwinklig angelegte Straßen, darin meist weiße Häuser und kleine viktorianische Villen, dazu die Getreidespeicher am aufgegebenen Bahnhof – das war Waterville im großen und ganzen. «Verdient habe ich an den zwanzig Häusern nichts», sagte Marc, «nur an diesen Speichern, einige sind von mir.» Er reichte mir seine Karte. «Inventor – Builder   – Collector» stand unter seinem Namen. Einer, der erfindet, sammelt und baut.
    Ein Auto fuhr von hinten heran. «Ich fahr mal rechts ran und lasse ihn überholen», sagte Marc. «Der hat’s eilig. Yankees haben’s immer eilig. Immer gierig.»
    «Würden Sie sich als Yankee bezeichnen?»
    «Ja, ich bin ein Yankee. Wir alle sind Yankees.»
    «Aber beginnt hier nicht langsam der Süden?»
    «Ja», sagte Marc, «die nannte man Rebellen – die aus dem Süden. Heute sind wir alle Yankees.» Er zeigteauf eine der weißen Kirchen von Waterville. «Denen geht’s gut. Viele vermachen den Kirchen Geld, bevor sie sterben – denken, sie kriegen dann ein gutes Plätzchen im Himmel.»
    Sein Lächeln überraschte mich, hier war es üblich, sich zum Glauben zu bekennen, auf vielen Autos klebte der Schriftzug «One nation under God» oder die patriotische Schleife «Support our troops», und als ich tags darauf den Ostergottesdienst besuchte, wurde für die Männer aus Waterville gebetet, die im Irak dienten.
    Wir hatten nun alle Straßen abgefahren. «Das ist Waterville», sagte Marc. «Wir sind fünfhundert hier, wenn alle da sind.» Einmal sei er fortgegangen, nach Texas. «Eines Freundes wegen, der war ganz verrückt aufs Goldsuchen, als Ingenieur wollte ich ihm ein bißchen helfen da unten. Wir pachteten Land bei El Paso, aber die Texaner legten uns rein. Nichts, was sie zugesagt

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