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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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werden.
    Ein Irrtum. Alle, die vorbeifuhren, schauten der schamlosen Person zu, die da unter den Kiefern am Straßenrand hockte, eine unverhüllte Bierdose in der Hand. Ich nahm mir vor, es zu ignorieren. Auf der Baumspitze über mir sang eine Amsel ihr Abendlied, der warme Südwind streifte mich wie ein Versprechen, es tat gut, auf diesem Stein zu sitzen, seine von Wind und Wetter weich geschliffene Kraft zu spüren, die nackten Füße im Gras, ein kühles Bier in der Hand – es tat gut, wären nur die Zoobesucher nicht gewesen, die aufreizend langsam an meinem Gehege vorbeirollten. Gut, hier galt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von fünfundzwanzig Meilen in der Stunde, aber mir schien, das Tempo wurde unterschritten, um mich besser sehen zu können. Ich gab auf.
    Wieder stand ich an der Kreuzung, inzwischen war es fast dunkel, unentwegt ratterten Lastwagen vorüber, in alle vier Richtungen. Hängende Ampeln quietschten im Wind, und die Frage, wo willst du eigentlich heute nacht schlafen, ließ sich nicht länger abwimmeln. Das einstmals gewiß prächtige «Grand Hotel», vor dem ich herumlungerte – war es denn noch ein Hotel? Nicht ein einziger Gast war zu sehen gewesen, seitdem ich hier stand. Bewohnt war es aber. Ich drückte die Nase an die Scheibe und sah etliche betagte Damen und Herren, in der Lobby in Sesseln sitzend, die Zeitung lesend oderdösend, ein alter Mann schlief mit offenem Mund – ein Altersheim. Das war die Erklärung, man hatte das «Grand Hotel» von Beatrice in ein Altersheim verwandelt.
    Ich ging hinein, ohne recht zu wissen, warum. Einige der alten Herrschaften blickten neugierig auf. Dann stand ich vor der Dame am Empfang, eine halbherzige Erklärung nuschelnd: «Verzeihen Sie, Ma’am, ich bin unterwegs und habe mich auf der Suche nach einem Zimmer hierher verirrt.» Ich wünschte einen guten Abend und war schon wieder an der Tür, da rief sie mir nach, ich könne ein Zimmer haben. Verdutzt wandte ich mich um. Was hatte Beatrices Zorn besänftigt? Die Dame schaute mich freundlich an. «Zwar ist das ‹Grand Hotel› schon seit Jahren keins mehr, aber ein Zimmer haben wir für Hotelgäste behalten, ein einziges. Es ist frei. Möchten Sie es sehen?» So zog ich ins Altersheim von Beatrice.
     
    Am anderen Morgen war die Stadt wie verwandelt, sie lebte. Aus ihren Werkstätten drangen die typischen Geräusche eines Landstädtchens, in dem die Bauern der Gegend sich eindecken und ihre Autos und Landmaschinen schweißen, ausbeulen oder sonstwie reparieren lassen. Eisen klang an Eisen, Motoren heulten kurz auf, ein Mähdrescher kam die Main Street heruntergefahren. Ich ging ins Museum.
    So viele Beobachtungen des Prinzen zu Wied über die Amerikaner noch immer zutreffen, eine hat sich doch überlebt. Die derbe Ignoranz der Siedler gegenüber dem Land, das sie nahmen, gegenüber allem, was vorhergewesen war, das von Wied beklagte Desinteresse an den Völkern, die wenige Jahre zuvor hier gejagt und gesiedelt hatten – es war einem begeisterten, mitunter beflissenen Historismus gewichen. Kaum ein Städtchen, das kein Museum hatte, worin man ausstellte, was zweihundert Jahre, was hundert Jahre und genauso gut, was wenige Jahrzehnte alt war.
    Das Museum von Beatrice erinnerte mich an die Bemerkung des Tankwarts über die Verrückten dieser Stadt – wenn beherztes Erfinden verrückt war, hatte der Mann recht. Früh wies Beatrice eine hohe Pionierdichte auf. Es war ein Hauptanliegen des Museums, all die tollkühnen Geister vorzustellen, die die kleine Stadt hervorgebracht hatte. Man konnte den Eindruck gewinnen, das Automobil sei in Beatrice erfunden worden, gleich mehrere Autoenthusiasten der Gründerzeit hatten hier Prototypen gebaut; außerdem wurde ein Abenteurer aus Beatrice geehrt, er hatte die Philippinen bereist. Und das war noch nicht alles. Auch die Verrücktheit, als schöne Kunst betrachtet, war hier heimisch, die edle Narretei von Beatrice hatte einen Namen: Zeizefoun.
    Auf seiner Reise durch Europa und Asien besuchte der rabiate Bürgerkriegsgeneral und spätere amerikanische Präsident Ulysses Grant im März 1878 auch den osmanischen Sultan in Konstantinopel. Der Sultan schenkte Grant zwei Pferde aus seinem Stall, beide aus feinster, mehrhundertjähriger Zucht – arabische Scheiks pflegten ihrem Herrn ausgesuchte Araberpferde zu überlassen, auf ihnen gründete der kaiserliche Stall. Zeizefoun, einer der beiden Hengste, mußte ein herrliches Roß gewesen sein, blaugrau mit

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