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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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ging ich weiter, in der einen Hand den Revolver, in der andern den geschenkten Rosenkranz.
    Bei einer Tankstelle tauchte ich aus der Einsamkeit wieder auf. Ich erkundigte mich, wie ich am besten zur 77 und nach Beatrice käme.
    «Beatrice?» Der Tankwart warf mir einen seltsamen Blick zu. «Das ist anders als andere Städte.»
    «Was heißt das?»
    Er tippte sich an den Kopf. «Viele Verrückte da, immer schon.» Vor zwanzig Jahren sei in Beatrice ein Mord geschehen. Vor einem Jahr seien die sechs dafür Verurteilten aus dem Gefängnis entlassen worden, weil sich ihre Unschuld herausgestellt habe. «Nach zwanzig Jahren! Und es kommt noch besser, die sechs hatten sich eingeredet, sie seien wirklich die Mörder. Sie haben es selbst geglaubt.»
    Vielleicht hatte Beatrice mitgekriegt, wie schlecht wir über sie geredet hatten, jedenfalls ließ mich die Stadt am ausgestreckten Arm hungern. Ihr Zentrum scharte sich um die Kreuzung zweier großer Straßen, mankonnte auch sagen: Beatrice war eine Straßenkreuzung. Von hier dünnte es sich in alle vier Himmelsrichtungen aus. Eine schien belebter zu sein als die drei anderen. Von fern waren Lichter und Reklamemasten von Motels und Tankstellen zu sehen, gewöhnlich hieß das, daß es dort etwas zu essen gab, aber es war eine Täuschung. Ich lief hin, dann lief ich zur Kreuzung zurück, hungriger als zuvor.
    Jemand sagte, in der anderen Richtung gebe es ein Café, «Country Kitchen» oder so ähnlich, hinter der großen Kurve am südlichen Ende der Stadt. Wieder lief ich hinaus und fand wieder nichts, nur eine weitere Tankstelle. Ich fragte das Mädchen an der Kasse. Sie sagte, ich solle nur weitergehen, das Café liege gleich hinter der alten Fabrik da vorn. «Aber vielleicht hat es geschlossen», rief sie mir hinterher. Ich ging um die Fabrik herum und fand das Schild «Country Cookin’ Café». Die Tür war mit Brettern zugenagelt, das Fenster auch, es sah nicht so aus, als sei es erst heute früh geschehen.
    Flüche auf den Lippen, machte ich zum zweiten Mal kehrt – Flüche und die immergleichen müßigen Fragen in solcher Lage. Wußte das Mädchen wirklich nicht, was sich hinter seinem Rücken abspielte, ob dort noch gekocht, vorgefahren und gegessen wurde oder ob jemand mit ein paar Nägeln und Hammerschlägen all dem schon vor Monaten ein Ende bereitet hatte? Wußte sie es nicht, oder war Beatrice noch immer wütend auf mich und schickte mich von einer Attrappe, einer Enttäuschung zur nächsten?
    Ich war lange genug im Westen unterwegs, um zu wissen,daß sich die Gasthäuser gern versteckten, sich sogar unsichtbar machen konnten. Psst! Kein Licht, kein Laut, keine offene Tür. Wie oft war ich in den ersten Wochen an Cafés, die man mir genau beschrieben hatte, vorbeigelaufen und hatte sie erst beim dritten, vierten Vorüberirren erkannt – wie ein Blinder. Der war ich auch gewesen, blind für die Zeichen, die hier in Gebrauch waren. Ein unscheinbarer Zettel im Fenster – die Speisekarte. Ein paar Lichter tief drinnen im dunklen Raum – die Tische. An unauffälliger Stelle das Wort Café. Aber so war es hier nicht, auf so etwas fiel ich nicht mehr herein. Hier war alles, wirklich alles geschlossen. «Poo’s Palace» – zu. Die «Eatery» auf der Main Street – zu. Nur die, die ich nicht brauchte, hatten geöffnet. «Fletcher’s Decorating», «Schmitt’s Tuxedos» und der örtliche Chiropraktiker. In jeder noch so kleinen Stadt praktizierte solch ein Mann für mindere Gebrechen, deren Behandlung durch einen Arzt zu teuer käme. Der Chiropraktiker von Beatrice hatte ein erbauliches Schild auf den Gehweg gestellt: «Loneliness is the most terrible poverty.» Keine Frage, Beatrice war immer noch wütend auf mich.
    Bald darauf fand ich einen Diner und bestellte einen Hühnersalat,
southwestern style
. Ich fragte das Milchgesicht hinter der Theke, ob ich dazu ein Bier haben könne. Er sah mich an wie einen schweren Fall. «Sie wissen doch, daß das nicht geht, Sir.» Nun gut, es war ein Diner ohne Ausschanklizenz, das gab es oft, aber es konnte meinen Ärger darüber nicht besänftigen, von einem pickligen Jungen zurechtgewiesen zu werden. Nachdem ich eine Weile in dem Salat herumgestochert hatte, gingich zur Tankstelle hinüber und kaufte ein Bier, suchte mir einen lauschigen Platz am Rande der Straße, auf einem Stein unter duftenden Kiefern, schaute den Trucks zu, die in der Dämmerung vorüberrollten, und dachte, es könnte doch noch ein netter Abend

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