Hartland
wollte nicht enden und auf jedem das gleiche Wort: Herzog.
Matfield Green! Der Weg dorthin war viel weiter gewesen als auf meiner Karte verzeichnet, und das Café dort, von dem ich gehört hatte, gab es nicht mehr. Weiter. Weiter. Ich erreichte El Dorado auf wunden, geschwollenen Füßen, suchte mit zusammengebissenen Zähnen ein Motel, verscheuchte beim Anblick des Zimmers den Gedanken, was wohl der dicke Plüschboden schon alles in sich aufgesogen hatte im Laufe seines langen Lebens, drehte die Dusche auf und wusch mir denBrandgeruch aus dem Haar, mit Seife, etwas anderes gab es nicht. An diesem Abend blieb der Fernseher kalt. Zu müde selbst für die Tornadovorschau, schlief ich sofort ein.
Alles bricht zusammen
Viele leere Orte hatte ich gesehen. Wichita war leerer als alle – so sehr, daß Wichita selbst seine Menschenleere zu empfinden schien. Warum sonst hatte man die Innenstadt so üppig mit Menschenskulpturen in Alltagsposen möbliert? Ein Mädchen führt ihr Pferd über den Bürgersteig. Eine Frau zeigt ihrem fotografierenden Sohn ein interessantes Motiv. Jungs liefern sich ein Wettrennen, der eine auf seinem Roller, der andere in der Seifenkiste. Auf einem Hocker sitzend, neben sich den Gitarrenkasten und seinen Hund, spielt ein Straßenmusiker für Passanten, die es nicht gibt, und erbittet deren Spenden. Da ist die Barfrau besser dran, ihr hat man ein paar metallene Gäste vor die Theke gesetzt, mit denen sie plaudern kann. Und so fort, eine ganze Population von Skulpturen, ganz still und stumm, simulierte, wie es wäre, gäbe es Menschen in den Straßen von Wichita.
Das war am hellen Tage gewesen, gegen Abend stieß ich auf Menschen – so viele auf einmal, so unerwartet, daß mich eine Unruhe überkam, die entfernte Ähnlichkeit haben mochte mit Empfindungen Robinson Crusoes angesichts der anlandenden Menschenfresser. Ein unpassender Vergleich, wie sich zeigte. Es handelte sich in Wichita um das «Lord’s Dinner» gegenüber der Diözesankathedrale Zur Unbefleckten Empfängnis Mariens, und sie kamen zu Hunderten, die Humpelndenund die Gesunden, die Schönen und die Häßlichen, die Aufgedunsenen und die Mageren, die Unauffälligen, in jedes Büro passend, und die Stinkenden von der Straße, die Ebenmäßigen und die mit den entgleisten Gesichtern, die Rohen mit der Gossensprache und die Stummen, die Harten und die allzu Weichen, die Sabbernden und die Manierlichen, ja sogar, soweit es die Umstände erlaubten, die Feingemachten.
Das war das Erstaunlichste – jedem dritten sah man es nicht an, daß er den ganzen Tag darauf wartete, hier eine warme Mahlzeit umsonst zu erhalten. Alte und Junge und Familien mit Kindern, wie man sie in jedem Walmart sah. Kinder, die gar nicht zu wissen schienen, wohin sie hier gingen, so unbefangen kamen sie an der Hand ihrer Eltern daher. Es erschienen die alte Dame mit dem einst feinen Strohhut, der Herr mit blütenweißen Kniestrümpfen an den dünnen Beinen, der junge Schwarze im nicht minder weißen Unterhemd. Ein betagter Oldsmobile rollte heran, ein altes Ehepaar stieg aus, die Frau und der Mann faßten einander an der Hand und gingen hinein zum Armenmahl wie andere sonntags zur Kirche. Die junge Schwarze im fußlangen hellblauen Kleid, die Bibel in der Hand. Die Dame mit indianischen Zügen, auch sie mit Hut, umschlungen von einem blauen Band. Am Ende mögen es fünfhundert gewesen sein, die an den langen Freitischen der mildtätigen Halle Platz nahmen, rasch aufaßen und sich wieder zerstreuten. Es dauerte keine halbe Stunde, bis der Platz vor der Kathedrale so leer war wie zuvor.
Auch ich verschwand. Der Busbahnhof lag am Weg, ein Bus fuhr, ich zögerte nicht und kaufte ein Ticketnach Oklahoma City. Es blieb noch etwas Zeit, und ich ging in die Wartehalle. Nicht ein einziger Fahrgast saß untätowiert auf den Eisenbänken, aller Augen waren auf den Fernseher unter der Decke gerichtet, es lief ein Film übers Tätowieren, auch der Reporter war tätowiert. Er war überall hingereist, in die Südsee, nach Japan, und hatte sich in jedem Land ein neues Tattoo stechen und dabei filmen lassen. Erst als unser Bus in die Haltebucht manövriert wurde, löste sich die Andacht auf.
Der Bus nach Oklahoma City bot Anlaß zu mancher Sorge, sein altes, zerknautschtes Blech hatte Risse, der Karosserie fehlten ganze Stücke, ein paar Lampen waren eingeschlagen oder herausgefallen, ich versuchte mir vorzustellen, was für ein wunderliches Sternbild der Bus wohl nachts
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